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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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sie saß eigentlich nicht aufrecht, sondern angelehnt – ich merkte, daß sie wach war, auf einen Ellbogen gestützt, und mich anschaute, während sie sich mit der rechten Hand die Schläfe rieb.
    »Nick?«
    »Ich bin hier.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Ich bin gleich wieder da.«
    »Komm zurück ins Bett.«
    »Alles in Ordnung. Schlaf ein.«
    »War das nicht ein wunderschöner Geburtstag?«
    »Soll ich das Licht hier ausmachen?«
    »Nein. Komm wieder ins Bett.«
    »Gleich.«
    »Ich will dich aber bei mir haben.«
    Ich stand auf dem Dach und hatte mein Radio auf dem Dachsims abgestellt, ab und zu hockte ich mich hin, nahm das Radio mit nach unten hinter das Sims, umschloß es sozusagen, saugte Hoffnung daraus, litt unter den Irrungen und Wirrungen des Spiels, grölte aus den tiefsten Tiefen – ein Radio Marke Emerson, kastanienbraun, ich nahm es überall mit hin. Aber wenn ich aufstand und nach Südwesten blickte, schaute ich über das Krankenhaus für die Unheilbaren und die Hochbahn auf der Third Avenue, zum Fluß hin, der New York in seine Boroughs zerschneidet. Da lagen nämlich die Polo Grounds, West-Südwest, und ich stellte mir das Spielfeld vor und die Spieler, die knackigen Blaus und paradiesischen Grüns an diesem großartigen, wolkenschweren Tag – großartig und schrecklich, inzwischen zu schwarzweiß verblaßt im Film der Erinnerung.

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Manx Martin 1
    D ann fallen ihm seine Bücher ein, und er geht die Treppe wieder hinunter, weil man nicht ohne seine Schulbücher aus der Schule heimkommt, Dummkopf. Er zwängt den Baseball in die Tasche und beugt sich in das schummrige Dreieck unter der Treppe, wo die Unterseite der ersten Stufe auf den Boden trifft, und er greift nach den drei Büchern, die er am Morgen dort hingelegt hat, zieht sie hervor und hebt sie auf, dazu ein Aufsatzheft mit marmoriertem Einband, und er fegt Staub und Schmier und Mißmut weg.
    Der Hausmeister kommt durch die Hintertür von den Höfen herein, der neue Hausmeister, er hinkt so furchtbar, daß man nicht mal genau weiß, ob er einem leid tut – vielleicht fragt man sich, warum er überhaupt herumläuft.
    »Was machst du da?«
    »Was runtergefallen«, sagt Cotter.
    »Ich muß mit deinem Vater reden.«
    »Wenn ich ihn sehe.«
    »Sag's ihm.«
    Cotter ist schleierhaft, woher der Hausmeister ihn kennt. Der letzte Hausmeister ist Hals über Kopf gegangen, der neue Mann hat gerade mal angefangen, er muß sich um vier Gebäude kümmern und hinkt, daß man kaum hingucken kann, aber er weiß schon, welcher Sohn zu welchem Vater gehört, und wahrscheinlich ist es nicht mal ein Irrtum. Die Leute wollen immer mit seinem Vater reden. Sein Vater verbringt jeden Tag Stunden auf der Flucht vor diesen Gesprächen.
    Er steigt hoch in den dritten Stock und geht hinein. Seine Schwester Rosie ist da, am Küchentisch in ihre Hausaufgaben vertieft. Rosie ist sechzehn, büffelt immer über den Büchern, und er hat noch zwei ältere Brüder, einen in Korea bei der Infanterie und einen bei der Luftwaffe, stationiert in Georgia. Also im Pfirsich-Staat. Aber wenn Cotter zwischen diesen beiden Arbeitsplätzen wählen sollte, würde er wohl lieber in Schnee und Matsch dem bewaffneten Feind gegenübertreten als mit einem Häufchen zusammengeknüllter Seide auf dem Rücken in die weiche Abendluft hinausgehen.
    »Was hat er denn da in der Tasche? Da fragt man sich doch«, sagt Rosie. »Kommt mir wie ein Apfel vor. Vielleicht war er an seinem freien Tag ja in einem Obstgarten.«
    »Was für ein freier Tag?«
    »Ist mit dem Bus ins Hinterland gefahren, um ein paar Äpfel zu pflücken. Natürlich haben wir auch zu Hause Äpfel. Aber die sind für nach der Schule. Keine Schule, keine Äpfel. Hat er sich deshalb selbst einen Apfel gesucht?«
    »Wo war ich denn, wenn ich nicht in der Schule war?«
    »Weiß ich nicht, aber als ich dich vom Fenster aus gesehen habe, hattest du keine Bücher dabei, und als du zur Tür reinkamst, sieh da.«
    »Dann weißt du auch, daß das in meiner Tasche kein Apfel ist.«
    Er holt den Ball heraus und macht seinen Wurftrick, dreht das Ding rückwärts über Hand und Handgelenk und fängt es mit einer Bewegung wie beim Gangschalten wieder auf, den Ellbogen im Rückwärtsgang. Das bringt Rosie zum Lächeln, und sie steckt die Nase wieder ins Buch, woraus Cotter entnimmt, daß er einen kleinen Sieg errungen hat, denn bei seiner Schwester weiß man erst, daß sie einen für voll nimmt, wenn es ihr die Sprache verschlägt.
    In seinem

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