Unterwelt
Brian. »Von Rauch zu Rauch zu Lundy. Aber wie hat es alles angefangen?«
»Sie haben gefragt, also sag ich's Ihnen. Mit einem Mann namens Charles, lassen Sie mich nachdenken, Wainwright. Einem Manager aus der Werbung. Ich habe die komplette Abfolge bis zu ihm zurück. Die Abfolge der Besitzer.«
»Aber nicht bis zum Spiel selbst.«
»Das letzte Glied in der Kette fehlt, die Verbindung von Wain-wrights Ball zu dem Ball, der mit Bobby Thomsons Schläger in Berührung kam.« Er schaute säuerlich auf die Uhr der Anzeigetafel. »Eine Lücke von mehreren Stunden muß ich noch schließen. Und wenn man mit etwas zu tun hat, das so viele Jahre zurückliegt, muß man auch die Sterblichkeitsrate berücksichtigen. Wainwright ist verstorben, und sein Sohn Charles Jr. ist heute zweiundvierzig und mit dem Namen Chuckie geschlagen. Seit langem versuche ich mit ihm zu reden. Zuletzt wurde er als Ingenieur auf einem Frachter gesichtet, und dieser Frachter pflügte – gefällt Ihnen das Wort?«
»Pflügte.«
»Durch die Ostsee. Baltikum«, sagte Marvin. »Apropos.«
»Ja?«
»Sie sollten das Mal auf Gorbatschows Kopf im Auge behalten, falls es seine Form verändert.«
»Form verändert? Es war doch immer da.«
»Sind Sie da sicher?«
»Was, Sie denken, es wäre erst vor kurzem aufgetaucht?«
»Sind Sie sicher? Es war immer da?«
»Es ist ein Muttermal«, sagte Brian.
»Entschuldigung, aber das sagt die offizielle Biographie. Ich will Ihnen mal sagen, was ich denke. Ich denke, wenn ich einen heiklen Regierungsjob hätte, würde ich Gorbatschow jede Minute des Tages, in der er keinen Hut trägt, vom Weltraum aus fotografieren lassen, um die Umrisse des Muttermals zu überprüfen, ob es sich verändert. Denn im Augenblick ist es Lettland. Aber morgen früh könnte es Sibirien sein, wo sie ihre Gefängnisse räumen.«
Er betrachtete seine Zigarre.
»Die Wirklichkeit geschieht erst, wenn man die Punkte analysiert.«
Dann stand er mit einiger Mühe auf.
»Und wenn der Kalte Krieg dichtmacht, dann können Sie auch nie mehr eine Frau auf der Straße anschauen und wieheißtesgleich Phantasien haben wie heute.«
»Erotische. Aber wo ist der Zusammenhang?«
»Sie wissen den Zusammenhang nicht? Sie wissen nicht, daß jedes Privileg in Ihrem Leben und jeder Gedanke in Ihrem Kopf davon abhängt, daß die beiden Supermächte unseren ganzen Planeten mit einer Drohung in Schach halten?«
»Das ist eine unglaubliche Behauptung.«
»Und Sie wissen nicht, sobald diese Drohung nachläßt?«
»Was?«
»Sind Sie der Verlorene der Geschichte.«
Wie es aussah, war der Besuch beendet. Doch zuvor führte der Gastgeber seinen Gast noch zu einer Nische mit Regalen an der Treppe. Dort bewahrte er seine Sammlung von Spielmitschnitten auf, Radio und Fernsehen, Hunderte genuteter Kassetten, die bis zu den frühesten Übertragungen zurückreichten.
»Wir heben diese Schläger und Bälle auf, sorgen für die mündliche Überlieferung der alten Geschichten und kennen die Spitznamen von tausend Spielern, wir sitzen hier in unseren Kellern und haben gewaltige Geschichte an den Wänden. Und ich will Ihnen eins sagen, Sie werden sehen, ich hab recht. In den kommenden Jahren wird es Männer geben, die bereit sind, ein Vermögen für diese Sammlerobjekte zu bezahlen. Unglaubliche Summen werden sie bezahlen. Denn daraus spricht die Verzweiflung.«
Brian wünschte, der Mann hätte leichter und liebenswürdiger sein können. Ein letztes Mal schaute er auf die Anzeigetafel. Es war alles in allem schon eine beeindruckende Sache, fand er, aber vielleicht ein bißchen trübselig. Mit jener kompakten Aura von Erhaltung und exakten Proportionen und respektvoller Geschichtlichkeit, die in einer düsteren Mausoleumsatmosphäre entstehen kann.
Sie stiegen die Treppe wieder hoch und durchquerten die verdunkelten Räume bis zur Haustür. Marvin stand da mit seiner toten Zigarre.
»Männer kommen hierher, um meine Sammlung zu besichtigen.«
»Ja.«
»Sie kommen, und sie wollen nicht wieder weg. Das Telefon klingelt, es ist ihre Familie – wo bleibt er? Das ist die Bruderschaft der vermißten Männer.«
»Ich verstehe.«
»Wie heißen Sie?«
»Brian Glassic.«
»Freut mich«, sagte Marvin.
Brian fragte, wie man nach Manhattan zurückkomme, ohne über die George-Washington-Brücke zu fahren. Es gab einen Tunnel hier und einen Tunnel dort, und Marvin beschrieb ihm beide Wege inklusive mehrerer Varianten. Brian der Narr kniff die Augen zusammen und nickte,
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