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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Bronx. Auf dem Dach eines nahegelegenen Motels saßen Leute auf Gartenstühlen. Nick sah ihnen an, daß es Bewohner des Viertels waren, die sich aus einem der Nachbarhäuser Zutritt zum Dach verschafft und ihre Stühle und Zeitungen mitgebracht hatten. Er wußte, es war ein Ausdruck kurzerhand improvisierten Vergnügens, den mißmutigen Straßen abgerungen, aber es machte ihn trotzdem nervös, es war ein Übergriff, eine weitere Bresche, ein weiteres Zeichen für Instabilität und Risiko in der Gegend.
    »Ich bin mit ihr im Zoo gewesen«, sagte Matt. »Sie hat den Zoo um die Ecke, aber zum ersten Mal in zwanzig Jahren hab ich sie dazu gebracht, auch hinzugehen. Hab sie praktisch mit Gewalt nach draußen geschafft.«
    »Ein Mann mit einem Auftrag, wie?«
    »Sie sagt, im Fernsehen hat sie mehr Tiere, als sie verarbeiten kann. Ich kann ihr nicht klarmachen, was es bringen soll, lebendige, atmende Wesen vor sich zu haben.«
    »Ich hole sie hier raus«, sagte Nick.
    »Ach ja?«
    »Nach Phoenix. O ja. Es gibt für sie keinen Grund mehr, hier zu sein.«
    »Sie hat Freunde hier. Das weißt du.«
    »Das weiß ich? Wie viele Freunde? Was für Freunde?«
    »Nach Phoenix«, sagte Matt.
    »Wie viele Freunde?«
    »Wir haben in letzter Zeit keine Volkszählung gemacht. Aber falls sie umziehen möchte, würden wir sie mit Vergnügen nehmen.«
    »Ihr habt doch gar keinen Platz.«
    »Wir haben wohl Platz«, sagte Matt.
    »Hör zu. Ihr habt keinen Platz. Wir haben Platz. Wir haben außerdem ein Klima.«
    »Klima.«
    »In ihrem Alter ist das wichtig.«
    »Janet ist Krankenschwester. Willst du einen Wettbewerb veranstalten? Janet ist Krankenschwester.«
    »Das ist saublöd.«
    »Natürlich ist es saublöd. Deshalb machen wir es ja«, sagte Matt.
    Nick stand wieder am Fenster.
    »Warum macht jemand an so einem Ort ein Motel auf?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Dieses Motel begünstigt doch Sex und Drogen. Wozu soll es denn sonst hier sein? Oder für Obdachlose. Ein Heim für Obdachlose. Die bringen sie ja neuerdings in Motels unter.«
    »Es gefällt ihr hier, Nick. Das ist ihr Leben, daran ist sie gewöhnt. Sie hat ihre Kirche, ihre Geschäfte, ihre vertrauten Sachen. Und die Freunde, die noch leben. Sag ihr, sie soll eine Liste machen.«
    »Du weißt es nicht. Ich weiß es. Dieses Motel begünstigt das, was sie da treiben.«
    Nick ging in die Küche und fing an, die Schränke aufzumachen. Er inspizierte die Stelle unter der Spüle. Auf dem Korridor fuhren kleine Kinder mit dem Dreirad. Ergoß sich noch ein Selters ein und ging ins Wohnzimmer. Die Fahrradklingeln hallten durch den Korridor.
    »Wie geht's Janet? Alles in Ordnung?«
    »Sie hat sich einen Knoten unterm Arm entfernen lassen.«
    »Hab ich das gewußt?«
    »Schon gut. Es geht ihr gut. Den Kindern geht es gut.«
    »Überall diese Knoten. Jeder sucht nach Knoten.«
    »Vor nicht allzu langer Zeit habe ich etwas in der Zeitung gelesen. Mußte an dich denken«, sagte Matt. »Weißt du noch, diese Maschinen, die sie in Schuhgeschäften hatten? Hohe Gehäuse, bißchen wie alte Radios, aber mit einem Schlitz unten drin.«
    »Jemine, ja, daran habe ich ewig nicht mehr gedacht.«
    »Der Verkäufer zieht einem Kind Schuhe an, und dann geht das Kind hin und stellt sich mit den Schuhen in den Schlitz.«
    »Daran habe ich nicht mehr gedacht, seit ich, was. Die werden gar nicht mehr hergestellt.«
    »Und der Verkäufer schaut oben an dem Apparat in eine Art Sucher und kann die Füße in den Schuhen sehen.«
    »Um die Paßform zu überprüfen«, sagte Nick.
    »Um die Paßform zu überprüfen. Tja, die Maschine war ein Fluoroskop, und sie machte folgendes, sie schickte Röntgenstrahlen durch den Schuh und in den Fuß hinein, das heißt Differentialübermittlung und liefert ein verschattetes grünliches Bild. Ich erinnere mich kaum noch daran Jimmy kauft dir gerade ein Paar Schuhe, und dann hebt er mich hoch, damit ich in die Maschine schauen und deine Füße in deinen Schuhen sehen kann, deine Knochen in deinen Füßen.«
    »Die Frage ist, wo sind diese Schuhe heute?«
    »Nein, die Frage ist, hast du das oft genug mitgemacht, um Knochenschäden davonzutragen, denn diese Maschine besprüht deine Füße praktisch mit Strahlung.«
    Sie hörten den Schlüssel im Schloß.
    »Ich habe gesunde Füße«, sagte Nick.
    »Ich bin erleichtert.«
    »Aber schönen Dank für den Schreck. Eines Tages vergelt ich's dir gern.«
    Rosemary Shay trat mit einer Einkaufs tüte in jeder Hand durch die Tür, den Körper zu

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