Untitled
er Schulz.
Schulz berührte Julian sanft am Kopf. »Heute Abend.«
Schneeflocken lagen wie Puderzucker auf den glatten Bah nen, die der CAT-Schneeräumer gezogen hatte. Es schneite immer noch. Die Kürbisse, die die Zufahrt säumten, waren mittlerweile weiße Hügel, deren lauernde Gesichter seit lan gem verdeckt waren. Julian lenkte den Lieferwagen die kur venreiche Straße entlang. Ich übe r legte, wie ich Arch sagen sollte, dass Miss Ferrell ermordet worden war. Nach langem Schweigen fragte ich Julian, wie die Prüfung verlaufen sei; er zuckte unverbindlich die Achseln.
»Weißt du, wozu ich Lust hätte?« fragte er unvermittelt. »Wozu?«
»Ich muss schwimmen. Ich habe seit zwei Wochen kein Schwimmbecken mehr gesehen. Es klingt wahrscheinlich verrückt, ich weiß.« Er verfiel wieder in Schweigen und kon zentrierte sich auf die zunehmend tückische Straße. Dann sagte er: »Diese Sache in der Schule nimmt mich mit. Ich kann nicht nach Hause fahren und da herumsitzen. Macht es dir etwas aus?« Er warf mir einen flüchtigen Seitenblick zu. »Vermutlich ist dir nicht nach Kochen.«
»Das siehst du ganz richtig. Schwimmen klingt gut.«
Wir parkten vor dem Haus. Durch den starken Schnee fall war schwer zu erkennen, ob jemand in einem der Wa gen saß, die den Straßenrand säumten. Schulz’ Wachposten musste da sein, sagte ich mir. Er musste einfach.
Im Haus zog ich erleichtert meine Arbeitskleidung aus und schlüpfte in Jeans und Rollkragenpullover. Wir pack ten Bad e anzüge und Handtücher zusammen. Auf dem An rufbeantworter war eine Nachricht von Maria: ob wir zu einem frühen Abendessen zu ihr kommen könnten. Sie habe endlich Pamela Samuelson ausfindig gemacht. Pa mela Samuelson? Marias Stimme auf dem Tonband half mir auf die Sprünge: »Du weißt schon, die Lehrerin von der Elk- Park-Schule, die einen Streit mit dem Direktor hatte. Sie möchte dich wirklich gerne treffen.« Geheimnisvoll hatte Maria hinzugefügt: »Es ist dringend.«
Ich wählte Marias Nummer. Die Privatschwester erklärte, ihr Schützling mache gerade ein Nickerchen. Wecken Sie sie nicht, sagte ich ihr. Sagen Sie ihr nur, wenn sie wach wird, dass wir gegen siebzehn Uhr kommen.
Wegen der Straßenverhältnisse nahmen wir den Range Rover. Auf der Fahrt zum Freizeitzentrum fühlte sich mein Herz an wie ein Klumpen Granit. Vielleicht war es auch nicht mein Herz, sondern ein unausgesprochenes Gefühl, das sich in meinem Brustkorb ve r dichtet hatte. Angst? Wut? Trauer? Alles zusammen.
Ich hätte gerne geweint, konnte es aber nicht. Noch nicht. Ich hätte gerne gewusst, ob es Arch gut ging, doch ich ver sicherte mir, dass natürlich mit ihm alles in Ordnung sei. Schließlich war er mit seinem Vater in Keystone, meilenweit entfernt von diesen gräs s lichen Ereignissen. Mach’ einfach weiter , sagte eine innere Stimme mir. Natürlich, das hatte ich immer getan. Doch der Stein in meiner Brust blieb.
Im Schwimmbad sprang Julian sofort mit einem lauten Platschen ins Becken, dass das Wasser in alle Richtungen spritzte. Wie ein Besessener pflügte Julian sich durch seine Bahn. Ich ließ mich unendlich vorsichtig ins Wasser und schwamm wie betäubt zu der Bahn links von Julians hin über. Mit geschlossenen Augen ließ ich meine Arme in ein langsames Kraulen übergehen. Warmes Wasser strömte über mich. Zweimal begann ich, über die Ereignisse dieses Vormittags nachzudenken und schluckte versehentlich Wasser. Ich spuckte und wechselte in Rückenlage, während Julian mich in der Nebenbahn mehrmals überrundete. Nachdem ich mit Unterbrechungen zwanzig ungleich mäßige Runden zurückgelegt hatte, hielt ich Julian auf, der gerade zu einer Wende an der Beto n wand ansetzte. Ich sagte ihm, ich wolle duschen gehen. Er antwortete, er sei auch fast fertig.
Ich wusch mir viermal die Haare. Das Duschgel mit dem Fichtennadelgeruch würde es völlig austrocknen, aber das kümmerte mich nicht. Der scharfe, waldige Duft ließ Erin nerungen an das Internat mit seiner behaglichen Alltags routine aufsteigen: Geschichtsunterricht, Rasenhockey, Perlenketten zum Abendessen und Handschuhe in der Kir che. Schade, dass die Elk-Park-Schule nicht annähernd so sicher und geborgen war.
In der Eingangshalle des Freizeitzentrums stellte ich mich ans Fenster und beobachtete den Schnee, während ich auf Julian wartete. Die Flocken trudelten herunter wie der Ascheregen eines entfernten Feuers. Plötzlich merkte ich, dass ich
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