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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Hand schreibenderweise die absurdesten Bewegungen, doch was ich dort auf dem Papier vorfand, waren Worte deutscher Sprache.
    Als wir das Gespräch über Julias Einrichtungsstil führten, stellte sie zum ersten Mal seit Langem das manische Mitschreiben ein. Als wir die Stelle mit dem Arbeitsplatz erreicht hatten, fuhr sie sogar die Spitze des Kugelschreibers ein in den Schaft und legte ihren Stift nieder auf den Block in ihrem Schoß.
    Wie viele Zimmer hatte denn die Wohnung überhaupt? Fünf. Und eine Küche natürlich. Zwei Bäder, eins war aber sehr klein.
    Überall Bücher, nehme ich an.
    So gut wie keine. Fünfzig vielleicht – allerhöchstens. Aufgestapelt. Wie gesagt.
    Interessant!
    Sie verschenkt sie, sobald sie sie ausgelesen hat.
    Aha –.
    Sie nennt es: durchdrungen.
    Und ihre Kleider?
    Sie trägt keine. Auch keine Röcke oder Blusen. Ihre Klamotten hängen an einer Stange an der Wand. Und in Schachteln.
    Können Sie sich vorstellen, warum Frau Speer sich so einrichtet? Warum sie es vermeidet, sich einzurichten – eine Akademikerin ohne Bücherwand: das ist doch ungewöhnlich.
    Sie legt keinen Wert auf Besitz. Das liebe ich an ihr. Sie will frei sein –.
    Das sehe ich auch so. Andererseits: auf gewisse Dinge legt sie doch erheblichen Wert. Denken Sie an das iPhone, an die Kleidungsstücke, die Sie gemeinsam angeschafft haben. Den Kugelschreiber, den Sie beide besitzen. Musik. Dieses Parfum.

    Den Space Pen zählte ich nicht zu den Besitztümern, auch nicht das iPhone oder Untitled: Für mich sind das alles Gegenstände, die einfach so da sein müssen – wie Lebensmittel. Sie gehören zur Ausrüstung.
    Worin unterscheiden sich die Ausrüstungsgegenstände von den Besitztümern?
    Mir war ganz seltsam zumute. Ich fühlte mich weit draußen, außerhalb meiner selbst. Schwebend. Was ich sagte, kam mir keineswegs falsch vor, aber doch komplett unbekannt: Sie sind nicht im Weg. Sie lassen mich in Ruhe. Sie helfen mir.
    Es störte mich nicht, dass ich in der ersten Person geantwortet hatte. Mir fiel die Sache mit den Koffern ein: Während ihrer Studien ist sie von einem möblierten Zimmer zum nächsten gezogen. Sie hat eine Zeit in Äthiopien gelebt. Und eines Tages, da hat sie sich wohl geschworen, dass sie niemals mehr an Besitz dulden wollte, als in zwei Koffer passte. Diese Koffer sollten gerade so groß sein, dass sie sie selbst tragen konnte. Sie hat mir die Koffer dann auch gezeigt. Sie standen in dem Zimmer mit dem Bett. Das Wort Schlafzimmer mochte sie nicht.
    Meine Therapeutin sah mich an. Sie lächelte. Dann betätigte sie den Knopf an ihrem Kugelschreiber und fing mit dem Notieren an.
    Es war immer mal wieder vorgekommen, und das Gefühl einer wohligen Erschöpfung, einer wunschlosen Ausgelaugtheit nach solchen Therapiestunden war stets so für mich gewesen, dass ich davon süchtig geworden wäre, hätte es nur irgendeine Methode gegeben, einen solchen Gesprächsverlauf immer wieder herbeizuführen. Dieser Zustand, der Nebel, es war so unbeschreiblich angenehm für mich gewesen. So als gebe es mich nicht mehr, und doch irgendwie weiterhin, aber es hatte nichts mehr mit mir zutun; so als hätte ich die Verantwortung für mich abgeben dürfen. Kurz wusste ich nicht mehr, wo ich aufhörte und wo ich anfing, und das war schön. Also Harmonie, hatte meine Therapeutin festgestellt, als ich ihr mein Wohlgefühl zu beschreiben versucht hatte. Und wahrscheinlich war es das gewesen: vereinigt fühlen mit Julia, Harmonie.
    Das war ja die Zeit, nachdem mir das mit der Kündigung passiert war und gleich, ob es mein Anwalt war, oder die überschaubare Anzahl ehemaliger Kollegen oder sonstiger Weggefährten, die mir auf die Voicebox gesprochen hatten, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen – ich konnte nicht klagen. Mir wurde dann schon auch bewusst gemacht, dass es ungewöhnlich war. Dass man sich aufregen sollte, in so einer Situation, kämpfen, schimpfen, hadern – mir lag all das unbeschreiblich fern. Ich fühlte mich entlastet von der Pflicht, mich um diese Zeitung zu kümmern. Und mit der Entlastung war das schöne Gefühl des Aufgehobenseins in der Beziehung zu Julia entstanden. Wie André Saraiva das damals im Kronengrill ganz richtig gesehen hatte: Meine Berufung bestand in meiner Beschäftigung mit Julia in all ihren wunderschönen Aspekten. Alles andere hielt mich lediglich davon ab, hierin meine Erfüllung zu finden. Harmonie.
    Zwischen Julia und mir wurde die Sache mit der Kündigung nur ein

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