Untitled
mir zur Gewohnheit gemacht hatte, nahm ich auch an diesem Abend das iPhone zu Händen, um unter meinen bereits vor Behaglichkeit brennenden Lidern ein letztes Mal nach einem neuen Bild hinter dem Instagram-Türchen nachzuschauen.
Wo mir an jenem Abend auch prompt eines beschert wurde. Ein Bild, das mir, während der ersten Sekunden des Anschauens, als das Allerschönste vorkommen wollte, das Julia mir jemals gesandt.
Doch dann.
Wie aus der ersehntesten Freude die Qual würde, wie Liebe und Eifersucht zueinandergehörten wie Liebende sonst, das brachte Julia mir innerhalb weniger Augenblicke bei. Und das ohne Worte. Anhand eines Bildes. Einem Idol meines Schmerzes, den ich fortan nie wieder vergaß.
Auf diesem Bild war sie beinahe in Gänze zu sehen. Der Ausschnitt reichte bis an ihre Knie, die von der navyfarbenen Pyjamajacke unbedeckt geblieben waren. Die Jacke war aufgeknöpft, im Ausschnitt mit der weißen Paspel waren die Rundungen ihrer von mir so besonders verehrten Brüste zu erkennen. Julias Kinn schien mir entgegengereckt, ihr Gesichtsausdruck war verdattert, wie es mir vom Küssen mit ihr noch vertraut war.
Es gab ja durchaus so etwas wie ein Entgegeneilen im Geiste. Ich befand mich schon auf der Bahn, ich flog zu ihr hin – da fiel es mir auf: Ich konnte ihre beiden Hände sehen. Womit hielt Julia denn das iPhone? Das Gerät hattedoch keinen Selbstauslöser. Und wenn sie sich für diese Aufnahme vor einen Spiegel – das hatten wir ja schon mehrfach – es wäre dann doch immer das Gerät zu sehen!
Da wurde mir schlecht. Was mir jetzt einfiel, sollte mir niemals über die Lippen kommen. Ich hatte Julia nie betrogen.
Das Gefühl der Versuchung, dieses Bild noch einmal betrachten zu wollen, war mindestens ebenso groß wie der Schmerz, den ich davongetragen hatte. Mir fielen die Worte meiner Freundin Betony ein, im April, in Paris, als ich während des Springreitturniers diesen Zusammenbruch hatte. Da kannten Julia und ich uns noch kaum und ich litt unter diesem Gefühl, das ich nicht kannte und das mir Todesangst machte, weil ich mich gefangen fühlte, ausgeliefert. Ich war die entführte Pferdeprinzessin gewesen, so war es nämlich in Wirklichkeit, von daher die Verzweiflung, ich hatte um mich Selbst geweint. Betony hatte gesagt: It’s just love. It heals as much as it hurts.
Als ich sie in meiner Verwirrung um das Foto anrief, ihren Ratschlag brauchte, sagte sie: That’s pretty sick! Anders als damals sprach sie mir damit aus dem Herzen. Genau das trieb mich um, war dabei, mich verrückt zu machen: die Sache mit dem Foto war krank! Betony riet mir, auf Abstand zu gehen. Ein paar Tage nichts von mir hören zu lassen, vor allem nicht auf das Foto zu reagieren. Mal sehen, ob es Julia selbst in den Sinn kommen würde, dass sie mich damit verletzt hatte.
Tagelang ohne Julia? Das Herz kann im Fühlen sehr wohl sinken. Ich brauchte eine zweite Meinung. Ich war anscheinend in großer Not, denn als Nächstes rief ich jetzt Maxim an.
Klar, Maxim war noch immer mein guter Freund Maxim. Er würde das auch immer sein, aber seit dem schiefgegangenen Manöver mit dem australischen Brettspielfabrikanten, diesem dilettantischen Versuch, Frederick aus dem Verkehr zu ziehen, um mir und Julia – jedenfalls: seitdem stand zwischen uns das Unbehagen. Ein seltsames Patt, ein Mexican Standoff von Ingmar Bergman erdacht. Aber mein guter Freund Maxim wäre nicht mein guter Freund, wenn nicht selbst noch die mulmigste Unbehaglichkeit nicht mit einem Lächeln in den Keller geräumt werden könnte.
Wo steckst du gerade?, kam es aus dem Telefon, nachdem er mich mit Hallo, mein Lieber!, begrüßt hatte, als sei noch nie auch nur irgendetwas geschehen. Direkt treffen konnten wir uns aber nicht, denn er saß im Auto, mit Katja, und das in Chile. Darin bestand einer der Vorteile, wenn man, wie ich, auf das Führen einer vorwiegend virtuellen Beziehung konditioniert worden ist: Mir machte das nicht viel aus, dass uns in dieser wichtigen Angelegenheit lediglich das Telefonieren zur Verfügung stand. Ich verwechselte auch häufig sagen und schreiben. Wie man es traditionell in Erwartung von schriftlichen Antworten formuliert: Es würde mich freuen, von Ihnen zu hören. Katja und Maxim waren also unterwegs zu einem Schweizer Sammler, der bei Casablanca ein Weingut besaß. In Chile gediehen ja nach wie vor die verbliebenen Exemplare von Vitis Vinifera, der europäischen Urrebe, die im achtzehnten Jahrhundert von der Weinpest
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