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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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dämpfend auf ihre Widerstandskräfte aus? Jedenfalls: Kurz bevor Erin an jenem Abend zum letzten Mal an meiner Tür klingelte, hatten Julia und ich bereits die App mit dem niedlichen Symbol auf unseren Geräten installiert.
    Instagram war ein auf den ersten Blick unspektakulär schlichtes Programm, das es seinen Benutzern ermöglichte, mit der Kamera des iPhones gemachte Aufnahmen mit anderen zu teilen. Die Idee war, dass man auf diesem Weg mehr und mehr Anhänger um sich scharte. Den Anhängern waren dabei zwei Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, auf das Hochladen eines Fotos zu reagieren: Primär durch das Betätigen eines Herzsymbols, woraufhin der Inhaber des Instagramaccounts benachrichtigt wurde, dass seinem Anhänger diese Aufnahme gefällt. Innigerem Gefallen verlieh man durch sein Schreiben in den unter dem betreffenden Bild angeordneten Kommentarfeldern Ausdruck. Da Julia und ich jeweils nur einen einzigen Anhänger zählen wollten – das Aufgefundenwerden durch andere Instagram-Benutzer konnte durch ein Aktivieren der Privatsphärenfunktion verhindert werden, entspann sich schon ab dem zweiten Bild (Julias Gesicht, gespiegelt in der Oberfläche ihres von australischer Nachmittagssonne beschienenen iPads, auf dem zudem ein Schaltplan zu erkennen war) ein Briefroman. Instagram wurde kostenlos vertrieben. Wie bei allen erfolgreichen Apps erschien das Geschäftsmodell der App-Programmierer schleierhaft (später, nach zwei Updates, verfestigte sich der Eindruck, hier würde Geld durch den Verkauf von Ortsdaten gemacht). Innerhalb eines Monats luden sich über hunderttausend Menschen die App herunter. Nicht allzu viele davon werden das Programm als privates Kommunikationsmittel benutzt haben. Aber unser Austausch gewann durch Instagram eine ungeahnt tief gehende Qualität. Nun war ja Julia der Philosoph von uns beiden. Und ich hätte sie wohl fragen können, warum dem so war; warum das Kommunizieren durch Bilder noch ergreifender und bindender wirkte als eines mit Worten allein. Ich denke: es lag daran, dass es von Vertrauen zeugte. Dass wir mittlerweile eine Vertrautheit erreicht hatten, in der wir nicht mehr alles mit Worten erklären mussten. Ein zunehmender Teil unserer Weltsicht war als übereinstimmend erkannt worden und wir konnten es nun wagen, uns mit unkommentierten Bildern zu konfrontieren – der jeweils andere wusste schon, was damit gemeint war. Und dennoch: wie unbeschreiblich groß noch bei jedem Mal dann die Freude war, wenn man sich tatsächlich verstanden fand! Prinzipiell musste es diese Furcht des Nichtverstandenwerdens auch bei rein schriftlichem Austausch geben. Und am Anfang war das auch manchmal vorgekommen: Missverständnisse, Zerwürfnisse. Irgendwann (aber eben nie absehbar) auch wieder die Erleichterung, dass es ja alles nicht so schlimm gewesen war wie gedacht. Im Gegenteil: der andere war nicht nur in etwa, sondern glücklicherweisegenauso wie gewünscht! Aber die Schrift war eben auch ein Instrument, die Begriffe hatten etwas von Pinzetten, und Bilder, keine Ahnung, ob das gehirnlich stimmig ausgedrückt war: Bilder waren primäres Ausdrucksmittel. Nicht im Sinne einer Denksprache, aber: minimal zugerichtet. Da steckten Gefühle, Gedanken, Sinneseindrücke – in den Bildern, die sie für mich machte, steckte Julia für mich drin. Besonders schön, in einem Sinne der Wirksamkeit fanden wir beide die subtilen Selbstporträts. Es waren dies Fotos, deren vordergründiges Motiv in etwas Gegenständlichem zu bestehen schien. Das hatten Dinge zu sein, deren Oberfläche aus glänzenden Materialien bestanden, zumindest aber schimmernd oder sonst wie reflektierend waren. Bei genauem Hinsehen war dann entweder im Anschnitt, oder dominierend der jeweils Fotografierende, waren dort also Julia oder ich selbst zu entdecken. Sowie das iPhone, mit dem die Aufnahme gemacht worden war. Um die Wirkung solcher subtilen Selbstporträts zu optimieren, musste man im Moment des Auslösens das Agapornidenauge des iPhones im Spiegelbild fixieren. Dann ergab sich für den Betrachter des Fotos der schöne Eindruck, man schaue ihm, aus dem Spiegelbild heraus, in die Augen. Julia hatte mir von Anfang an ihre Meisterschaft in der Kunst des subtilen Selbstporträts demonstriert. Ich fragte mich, ob sie das verwickelte Wesen unserer Beziehung nach der Komposition dieser Selbstporträts formte oder ob diese Porträts eine visuelle Geheimsprache ergaben – oder eine Mixtur aus beidem, oder doch umgekehrt?

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