Untitled
großen Teil hierhin. So stößt Luigino auf eine Tragödie, die erste in seinem Leben. Sie trägt den Titel Eufemio von Messina. Er ist völlig fasziniert davon, eine Faszination, die weitaus größer ist als die, die vom sizilianischen Puppentheater ausgegangen ist, in dem die Heldentaten der Paladine am Hofe Karls des Großen dargestellt werden, allen voran Orlando und Rinaldo, die in rauchgeschwängerten, vom einfachen Volk besuchten Sälen aufgeführt wurden. Aber die, die dort spielten, waren keine Schauspieler aus Fleisch und Blut, sondern Puppen aus Holz, angetan mit Rüstungen aus Blech. Unter dem Eindruck der Lektüre der in dem Papierladen gekauften Tragödie schreibt der zwölfjährige Luigi selber eine und gibt ihr den Titel Barbar. Er könnte an diesem Punkt aufhören, sein Werk vorlesen oder vorlesen lassen und sich an den unweigerlich folgenden Lobeshymnen der Verwandten und Freunde ergötzen. Doch Luigi weiß bereits in diesem Alter, daß nur mit einer Aufführung der Text realisiert wird, wenn die zu Papier gebrachten Figuren einen Körper annehmen, der ihnen von einem Schauspieler geliehen wird, wenn ein Schauspieler sich seiner selbst entledigt, um ein anderer zu werden.
Allerdings freiwillig. Nicht etwa durch eine ahnungslos auf sich genommene Verwandlung.
Jedenfalls würde die Beobachtung des Phänomens der
Verwandlung ihm möglicherweise Erkenntniselemente über den noch nicht gelösten Knoten seiner Geburt liefern können.
Im Garten des Hauses oder in der Bogenhöhlung einer Mauer (wir wissen nichts Sicheres über den Ort) findet er einen Raum, der von sich aus bereits einen szenischen Raum darstellt. Er lädt Familienangehörige und Schulkameraden ein und bringt seinen Barbar auf die Bühne. Wir wissen nichts darüber, wie es ausgegangen ist. Doch das ›Drängen‹ des Theaters hörte damit nicht auf. Die Vorstellungen gingen mit anderen Texten weiter, unter diesen wohl auch ein Goldoni.
Über diese Zeit der Hinwendung zum Theater wissen wir nur wenig. Doch dieses Wenige umreißt teilweise bereits das Verhältnis, das Pirandello viele Jahre später zu den Schauspielern haben wird.
Mit zwölf Jahren forderte er bereits höchste Disziplin. In der für die Aufführung des Barbaren geschaffenen Theatertruppe gibt es einen Schulkameraden, der immer zu spät zu den Proben kommt und den Anweisungen des gleichaltrigen Regisseurs keine Folge leistet. Und der sehr junge Luigi nimmt ihm die Rolle weg und jagt ihn davon. Der rausgeworfene Schauspieler rächt sich, indem er während der Vorstellung das Publikum bepinkelt.
Die andere unverrückbare Forderung ist, daß die Schauspieler ihren Text auswendig können müssen. Als er sehr viele Jahre später über die Gründung eines eigenen Theaters nachdenkt, sagt er zu Dario Niccodemi:
Wenn ich einmal inszenieren werde, müssen die Schauspieler ihre Rollen erarbeiten und auswendig lernen.
Sie müssen hart arbeiten, bei sich zu Hause, alleine, in der Stille, in der Meditation. Und wenn sie auf die Bühne kommen, dürfen sie keine Schauspieler mehr sein, sondern die Gestalten des Stücks… Jetzt ist das nicht möglich. Der Schauspieler spiegelt sich im Souffleur wider und muß sich gezwungenermaßen grotesk vorkommen…Er kann keine Theaterperson sein, sondern bleibt Schauspieler…
PALERMO - PORTA DI CASTRO
Don Stefano weiß, wie er seine Geschäfte machen muß und verdient gut. Er hat eine Familie, der er es an nichts mangeln läßt. Doch eines schönen Tages schließt er einen Pakt mit Bellavia und Contino ab, Verwalter einer Schwefelmine im Inneren der Insel, die sich als wortbrüchig erweisen: nachdem sie von Don Stefano einen beachtlichen Vorschuß erhalten haben, erklären sie ein paar Tage darauf den Bankrott. Don Stefano, der formal ihr Gesellschaftspartner ist, verliert alles Geld, das er hat, annähernd sechshunderttausend Lire nach damaligem Wert, eine gigantische Summe. Die Familie Pirandello stürzt ins Elend, an manchen Tagen fehlt gar das Geld, um etwas zu essen zu kaufen. Da wendet sich Don Stefano an den ältesten Bruder, jenen Felice, der sich durch Betrug das gesamte väterliche Vermögen angeeignet hat, und bittet ihn um Hilfe. Das ist ein Schritt, den er ganz sicher nicht mit Begeisterung tut: Felice überträgt Stefano die Geschäftsführung eines Schwefellagers in Porto Empedocle. Theoretisch hätten die Pirandellos also weiterhin in der Via San Pietro in Girgenti wohnen bleiben oder
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