Untitled
übergeben muß. Er erhält die Erlaubnis aufzustehen, und so wirft er sich aufs Bett. Er weint nicht, doch er hat einen Schmerz in der Brust, so etwas wie eine Faust, die sie fest zudrückt. Die Zeit nach dem Mittagessen verbringt er damit, daß er sich auf dem Bett hin und her wälzt, danach kommt wieder die Folter des Abendessens. Auch diesmal bringt er nichts hinunter.
»Darf ich vielleicht wissen, was du hast?«
»Nichts.«
»Fühlst du dich nicht wohl?«
»Nein.«
Donna Caterina fragt nicht weiter, sie schaut den Jungen lange an, möglich, daß sie etwas erahnt. Der junge Luigi verbringt die Nacht mit weit geöffneten Augen, am nächsten Morgen sieht er so mitgenommen aus, daß man meinen könnte, er habe erhöhte Temperatur. Um zehn ist die Verabredung im Garten für die Abschiedszeremonie. Als Luigino Giovanna die Stufen heruntersteigen und auf ihn zukommen sieht, bemerkt er, daß sie blaß ist und beinahe eine ganz andere. Das blonde Haar wird von einer eleganten Schleife zusammengehalten, das Mädchen hat die Pensionatskleidung an. Einen halben Schritt voneinander entfernt, blicken sie sich an und können kein Wort hervorbringen.
»Luigino, geh und hol das Päckchen, das im Eßzimmer ist, und gib es Giovanna.«
Es ist ein Souvenir, das Donna Caterina tags zuvor für die Tochter der Hauseigentümer gekauft hat. Eigentlich hätte sie es ihr geben müssen, aber sie hat es sich anders überlegt, sie möchte, daß Luigino ihr dieses Geschenk überreicht. Luigino stürzt ins Haus, nimmt das Päckchen, kommt herausgelaufen, und gerade an der letzten Stufe sticht er sich an einem Stück Draht, das aus dem Geländer hervorsteht, in den Finger.
Giovanna steht noch immer da, wo er sie zurückgelassen hat. Die anderen sind inzwischen zum Gittertor gegangen, weil die Kutsche angekommen ist. Luigino hält ihr das Päckchen hin, Giovanna nimmt es, ohne sich zu bedanken, dann merkt sie, daß einer von Luigis Fingern blutet. Da klemmt sie das Päckchen unter ihren Arm, streckt die Hände aus, erfaßt mit ihnen Luiginos Hand, legt ihre Lippen auf den verletzten Finger, saugt sanft und lange das Blut aus, das sich ja vergiftet haben könnte.
»Giovanna, laß' es gut sein.«
Das Mädchen wendet ihm den Rücken zu und geht zu ihrer Mutter, die sie neben der Kutsche erwartet. Donna Caterina und Giovanna umarmen sich fest, dann steigt das Mädchen ein, setzt sich neben ihre Mutter, der Kutscher schließt die Türe, steigt auf, läßt die Peitsche knallen, das Pferd setzt sich in Bewegung.
Luigino kann den Weg der Kutsche verfolgen, sein Blick vernebelt sich allerdings immer mehr, seine Augen werden zusehends starrer, der verletzte Finger, auf den sich Giovannas Lippen gesenkt hatten, brennt so sehr, als hätte er ihn in Feuer gesteckt.
Donna Caterina dreht sich um, um ins Haus zurückzugehen, muß aber eiligst zu ihrem Sohn laufen, der sich langsam nach vorne krümmt.
DIE TÖDLICHE KRANKHEIT
Donna Caterina sorgt sich nicht sonderlich um die Ohnmacht des Sohnes, denn sie hatte schon tags zuvor beobachtet, daß er ein bißchen eigentümlich war, er hatte keinen Appetit, weder mittags noch abends, und sie schreibt Luiginos Unwohlsein seiner Empfindsamkeit zu, der Abreise Giovannas. Damit trifft sie nur teilweise ins Schwarze, denn der Grund für Luiginos plötzliche Zustandsveränderung ist weitaus komplexer.
Als Giovanna ihre Lippen auf seinen Finger legte, bedeutete das für ihn, daß das Blutsaugen aus der Wunde für ihn wie der kühnste Kuß war, den die Liebe einem hätte einfallen lassen können. Bestürzt hat er erkannt, was ihn eigentlich zu Giovanna hinzog. Und dieses Eigentliche versucht er jetzt, mit verwirrten Sinnen, verzweifelt auszulöschen, indem er ohnmächtig wird, Fieber bekommt, erkrankt. Den Nachmittag verbringt er weinend, das Bettlaken hat er über den Kopf gezogen, er will niemanden sehen, von essen ganz zu schweigen. Während der Nacht ist das Fieber außerordentlich hoch, bei Tagesanbruch weiß der junge Luigi nichts mehr von sich und den anderen, er hat das Erinnerungsvermögen völlig verloren, aus seinem Mund dringt kein Wort, sondern ein unaufhörliches tierisches Röcheln. Der erste eilends herbeigerufene Arzt kommt, als es noch nicht ganz Tag ist. Er befragt Donna Caterina, die nichts zu antworten weiß, allenfalls wagt sie sich mit der Bemerkung hervor, er könne durch die Abreise eines kleinen Mädchens verwirrt worden sein, der er sich sehr zugetan fühlte. Der Arzt
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