Untitled
Blut geopfert. Es war ein Brauch, den die jüngeren Generationen fast vergessen hatten. Wenn ein Mann die Mutter des Eises beleidigt hatte, dann opferte er sein Blut und goß es auf das Eis, um der Göttin etwas von seiner Wärme und seinem Leben zu geben. Arflane fragte sich, was für eine ›Sünde‹ Urquart begangen haben könnte, aber mit Sicherheit hatte das etwas mit seinem hysterischen Benehmen am gestrigen Abend zu tun.
Arflane deutete fragend auf die Schale. Urquart zuckte die Achseln. Er schien sich wieder gefangen zu haben.
Arflane lehnte sich gegen die Koje und fragte: »Was ist in
der letzten Nacht passiert?« Er fragte es so beiläufig wie möglich. »Haben Sie die Mutter des Eises beleidigt?«
Urquart kehrte ihm den Rücken zu. »Ich war schwach«, murmelte er. »Ich habe mich der Furcht vor dem Feind gebeugt.« »Es hat uns nichts geschadet«, sagte Arflane.
»Ich habe getan, was ich für richtig hielt. Ich hoffe, es ist genug …« Er ging zur Luke, öffnete sie, nahm die Schale und kippte das Blut auf das Eis.
Dann schloß er die Luke, stellte die Schale auf die Truhe und kleidete sich an. Er griff nach seiner Harpune und wartete starren Gesichts, daß Arflane zur Seite trat, um ihn vorbeizulassen. Arflane blieb stehen, wo er stand.
»Ich frage Sie nur im Geist der Kameradschaft, Urquart. Wenn Sie mir sagen wollen, was in der vergangenen Nacht –« »Das sollten Sie wissen«, unterbrach ihn Urquart. »Sie wurden von ihr ausgewählt, nicht ich.« Der Harpunier sprach von der Mutter des Eises, hatte aber Arflanes Frage nicht beantwortet. Arflane machte kehrt und trat in den Gang hinaus. Urquart folgte ihm und bückte sich ein wenig, um nicht mit dem Kopf gegen den Türrahmen zu stoßen. Sie stiegen zum Deck hinauf. Urquart ging voraus und kletterte wortlos den Fockmast hinauf bis in die oberen Rahen. Arflane beobachtete ihn dabei und sah ihn zu den nun weit zurückliegenden Feuerbergen blicken. Arflane ärgerte sich über die schroffe Art Urquarts, machte eine wegwerfende Geste und ging zur Brücke.
Gegen Abend war der Schoner blitzblank, aber das Jagdkommando war noch nicht zurückgekehrt. Arflane bereute, den Leuten keine genaueren Anweisungen gegeben zu haben. Er hätte ihnen befehlen müssen, vor Anbruch der Dunkelheit zurück zu sein, aber er hatte nicht damit gerechnet, daß es schwierig sein würde, einen warmen Teich zu finden. Die Leute benutzten ein kleines Segelboot, das gute Fahrt machte.
Jetzt mußte der Eisschöner auf die Rückkehr warten, und es war kaum anzunehmen, daß sie nachts fahren würden, was soviel bedeutete, daß der nächste Morgen auch verschwendet werden würde.
Der Abend war still, als Arflane eine kurze Runde über das Deck machte, bevor er in seine Kabine ging. Er hörte Wortfetzen einer gedämpften Unterhaltung und ein paar Geräusche, die arbeitende Leute verursachten, doch sonst störte nichts den Frieden des Schoners.
Auf dem Vorderdeck angekommen, blickte Arflane nach oben. Urquart saß noch immer in den Rahen des Fockmastes, als sei er dort angefroren. Es war schwieriger, den seltsamen Harpunier zu verstehen, als Arflane angenommen hatte. Jetzt war er zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Er ging auf die Brücke zu und in seine Kabine. Diesmal dauerte es nicht lange, bis er eingeschlafen war.
16
Arflane erwachte, als es oben sieben Glasen schlug. Bis zum Wachantritt hatte er noch eine halbe Stunde Zeit. Er wusch sich und kleidete sich an. Da klopfte jemand an die Tür zur Gangway zwischen den Decks. »Herein!« sagte er schroff.
Der Türknauf wurde herumgedreht. Dann stand Ulrica Ulsenn vor ihm. Ihr Gesicht war leicht gerötet, aber sie sah ihn fest an. Er begann zu lächeln und wollte sie in seine Arme schließen, doch sie schüttelte den Kopf und zog die Tür hinter sich zu.
»Mein Mann will dich – gemeinsam mit Petchnyoff – umbringen«, sagte sie gepreßt und legte eine Hand auf ihre Stirn. »Er unterhielt sich in seiner Kabine mit Petchnyoff. Ich habe alles gehört … Sie wollen dich heute nacht umbringen und deine Leiche im Eis vergraben.«
Arflane verschränkte die Arme über seiner Brust und lächelte. »Danke, Ulrica. Petchnyoff weiß, daß bald meine Wache beginnt. Sie werden es zweifellos versuchen, wenn ich meine Runde mache. Im übrigen habe ich schon oft darüber nachgedacht. Nun gut …« Er ging an die Truhe, klappte deren Deckel auf, nahm sein Walmesser heraus und schnallte es um. »Ich denke, damit wird alles zu Ende
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