Untitled
wäre geschehen, wenn du dir erlaubt hättest, nicht nur um Ajay zu trauern, sondern deine Gefühle mit mir zu teilen?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht«, sagte er. »Mein Gott, Gina. Jones, was zur Hölle …?«
»Gleich fertig.«
»Oh Gott …« Jetzt hätte er am liebsten aufgeheult, aber er kämpfte dagegen an und stieß die Wörter einzeln keuchend hervor. »Verdammt …«
»Wieso hast du solche Angst davor, menschlich zu sein?«, bohrte Gina weiter. »Genau das ist doch der Grund, warum ich dich liebe, verstehst du?«
Gegenwartsform. Oh Gott, oh Gott, Gegenwartsform!
Sie holte nicht einmal richtig Luft und sprach weiter. »Weil ich dich sehen kann, tief da drin, obwohl du versuchst, dich zu verstecken. Du bist nicht vollkommen – niemand ist vollkommen. Völlig egal, Max, ist dir das denn nicht klar? Ich will keine Vollkommenheit. Ich will dich. Ich will den kleinen Jungen, der mit seinem Großvater zusammen Elvis-Filme gesehen hat. Ich will den Mann, der mit der Faust ein Loch in eine Wand geschlagen hat, weil er nicht verhindern konnte, dass ein paar bösartige Gestalten mir wehtun. Aber weißt du was? Ich will sogar den Mann, der sich so … so kalt und … abweisend verhält, der sich selbst die Schuld gibt für alle seine so genannten Fehler. Ich wünschte nur, du würdest e r kennen, dass der Mensch aus Fehlern lernt. Wir lernen und wachsen und lassen unsere Fehler irgendwann los, weil wir wissen, dass wir beim nächsten Mal etwas anders machen. Wenn wir Glück haben und es überhaupt ein nächstes Mal gibt.«
Sie hielt noch immer seine Hände fest, wischte die Wangen an den Ärmeln ihres T-Shirts ab und fügte hinzu. »Du bist. Um deine Frage zu beantworten. Du bist die Liebe meines Lebens. Und weißt du was? Ich habe etwas dazugelernt. Wenn du mir verzeihen kannst, dass ich dich verlassen habe, wenn du uns eine zweite Chance geben willst, dann lasse ich mich nicht noch einmal von dir verscheuchen.«
Großer Gott.
»Ich hab sie«, sagte Jones triumphierend. »Tut mir leid, da war so ein kleiner Fetzen Dreck oder Stoff oder sonst irgen d was, aber jetzt endlich hab ich sie. Und, wie wär’s mit einer kleinen 151er-Desinfektionsbehandlung? Bist du bereit?«
»Ja«, krächzte Max. Bist. Gegenwartsform. Ob er ihr ve r zeihen konnte? Aber sie meinte es ernst.
Und, ja, jetzt war er zu fast allem bereit.
Als Jones den hochprozentigen Rum in seine Schusswunde goss, riss Max den Mund auf und brüllte: »Aaah Gooott, aaah Gooott, aaah Gooott.«
Und, wie versprochen, fielen auch Gina und Molly mit ein und schrien mit ihm, obwohl … bei Gina konnte es auch Lachen sein. Es war nicht ganz einfach festzustellen – die Tränen liefen ihr in Sturzbächen über die Wangen.
Sie veranstalteten einen solchen Lärm – selbst Jones heulte mit –, dass sie es fast nicht gehört hätten.
Eine Stimme. Aus einem Megafon. »Grady Morant.«
Molly hörte es als Letzte, und Gina und Jones machten pssst.
»Grady Morant«, ertönte es noch einmal.
»Oh Gott«, keuchte Gina, als Max schließlich ihre Finger losließ.
Schnell verband Jones Max’ Wunde und wusch sich die Hände. Max stemmte sich auf Hände und Knie. »Hat jemand meine Hose gesehen?«
»Die ist total nass«, sagte Molly. »Ich habe versucht, die Blutflecken rauszuwaschen, aber …«
»Ich hole dir was anderes.« Gina verschwand.
»Grady Morant, Sie sind umstellt«, fuhr die fort. »Ergeben Sie sich ohne Gegenwehr, Ihren Begleitern zuliebe. Ergeben Sie sich ohne Gegenwehr, und niemandem wird etwas g e schehen.«
20
Gina kam mit einem ganzen Arm voller Kleider aus Emilios Schrank zurück in die Küche gerannt, als der Mann mit dem Megafon Jones erneut zur Kapitulation aufforderte. Molly und Jones waren schon oben im ersten Stock und schauten mit Emilios Fernglas zum Fenster hinaus.
Max stand drüben an der Spüle und spritzte sich Wasser ins Gesicht. »Jetzt kommt der Augenblick der Wahrheit«, sagte er und stellte den Wasserhahn ab.
Gina warf die Kleider auf einen der Küchenstühle und reichte ihm das Handtuch, das an der Kühlschranktür hing.
»Danke.« Er trocknete sich ab. »Gleich werden wir e r fahren, für wen Emilio gearbeitet hat. Es kann gut sein, dass die Soldaten, die da vorhin auf uns geschossen haben, gar keinen offiziellen Befehl hatten. In diesem Fall lässt sich der Einsatzleiter da draußen vielleicht darauf ein, dass wir uns einem Sonderkommando der amerikanischen Botschaft in Dili ausliefern. Wenn ich das
Weitere Kostenlose Bücher