Untitled
Superhelden-Umhang. Sie nahm sogar Kampfstellung ein und stützte die Hände in die Hüften.
Debra wies mit geschürzten Lippen in Richtung Max. »Übernachtungsgäste sind untersagt. Ohne Ausnahme.«
»Haben Sie gerade eben die Frechheit besessen, mich an den Pranger zu stellen?« Gina versperrte der Schwester den Weg zur Tür. »Ohne auch nur das Geringste über mich zu wissen?«
Debra hob eine Augenbraue. »Nun, meine Liebe, ich habe Ihre Unterwäsche gesehen.«
»Ganz genau«, erwiderte Gina. »Sie haben meine Unte r wäsche gesehen und weder mein Persönlichkeitsprofil noch meinen Lebenslauf noch mein College-Zeugnis noch …«
»Falls Sie auch nur ansatzweise glauben sollten«, fiel ihr die Krankenschwester ins Wort, »dass irgendetwas an dieser Situation einzigartig ist …«
»Das reicht«, sagte Max.
Gina beachtete ihn natürlich nicht. »Das glaube ich nicht nur, das weiß ich«, sagte sie. »Sie ist etwas Einzigartiges, weil ich einzigartig bin, weil Max einzigartig ist, weil …«
Jetzt lachte Debra doch. »Ach, Schätzchen, Sie sind so … jung. Ich gebe Ihnen mal einen guten Rat, den ich normale r weise nicht an Mädchen wie Sie verschwende: Wenn ich eine Unterhose auf dem Boden finde, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste auftaucht. Und, ich sage es nur äußerst ungern, aber das Mädchen, das nächstes Mal aus dem Badezimmer kommt, na ja … das sind garantiert nicht Sie.«
»Zunächst einmal«, erwiderte Gina grimmig. »Ich bin eine Frau und kein Mädchen. Und zweitens, Oma … wollen wir wetten?«
»Ich habe gesagt, das reicht «, wiederholte Max. Beide Frauen drehten sich um und schauten ihn an. Wurde auch Zeit. Er war es gewöhnt, dass er sich nur zu räuspern brauchte und schlagartig die volle Aufmerksamkeit eines ganzen Raumes bekam. »Miss Forsythe, Sie haben meinen Blutdruck gemessen. Sie haben also alles, was Sie brauchen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Madam. Gina …« Er wollte ihr eigentlich sagen, sie solle den Slip glatt streichen und ihn wieder anziehen, aber das wagte er nicht. »Setz dich«, befahl er stattdessen und zeigte auf den Schreibtischstuhl, der sich an das Bett ziehen ließ. »Bitte«, fügte er noch hinzu, als Schwester Schrecklich mit hämischem Grinsen zur Tür hinausging.
»Ich kann jetzt nicht bleiben. Vic kommt um kurz nach sieben an. Wenn ich jetzt nicht gehe, dann verpasse ich ihn.« Gina stürzte sich mit einem Kuss auf ihn, voll auf den Mund. »Mmmm«, sagte sie und küsste ihn noch einmal, dieses Mal länger, verweilend, jetzt, wo sie wieder allein waren. Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht. »Vielen Dank für diesen zauberhaften Nachmittag.«
Ja, genau. Deshalb … »Wir müssen miteinan …«, setzte Max an.
Doch sie griff nach ihrer Kamera und winkte ihm zu, während sie schon aus der Tür rauschte.
Da lag er nun, und in seiner Hand …
Ja, den hatte sie ihm während des letzten Kusses in die Hand gedrückt.
Ihren Slip.
Natürlich.
Es war offensichtlich, was sie damit bezweckte. Sie wollte, dass er sich während der nächsten Stunden vorstellte, wie sie ohne das gute Stück auf dem Baltimore-Washington-Airport umherspazierte.
Ja, genau.
So viel zum Thema Mittagsschläfchen.
4
Kenia, Afrika
22. Februar 2005
Vor vier Monaten
Achtundvierzig grausame Stunden nachdem die arme Narari ihren letzten Atemzug getan hatte, fing Molly langsam an zu begreifen, dass die drei anderen Mädchen überleben würden.
Zumindest zunächst einmal. Frauen mit solchen Ve r stümmelungen hatten oft mit immer wiederkehrenden Infektionen zu kämpfen. Schweren Infektionen. Geburten würden schwierig, wenn nicht sogar lebensgefährlich werden. Und falls ihre zukünftigen Ehemänner – die Männer, an die ihre Eltern sie praktisch verkauft hatten – HIV-positiv waren, dann war ihr Ansteckungsrisiko noch sehr viel größer.
Risiko? Für die meisten war es praktisch vorprogrammiert.
Als Nararis Familie kam, um den Leichnam abzuholen, ging Molly unter die Dusche. Schwester Doppel-M hatte ihr jedes Gespräch mit den Angehörigen untersagt. Sie blieb viel länger, als sie sollte, und weinte, während ihr das Wasser über das Gesicht lief. Mit den Tränen versuchte sie, ihre Wut auf Nararis Eltern, auf die Nonne, auf sich selber loszuwerden.
Weil sie sich nicht die Zeit genommen hatte, diese Mädchen besser kennen zu lernen. Weil sie nicht gespürt hatte, dass sie in Gefahr waren und sie nicht gedrängt hatte
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