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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: nanu
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hatte.
    Molly nahm ein Tablett vom Stapel und schenkte sich ein Glas Tee ein. Anschließend holte sie sich ein bisschen Brot und ein göttlich duftendes Gemüsegericht, das Helen für das Krankenhauspersonal warm gestellt hatte.
    Das war mehr als nur ein Ersatz für den gravierenden Schokoladenmangel.
    Sie drehte sich um und wollte sich mit dem Tablett an einen Tisch setzen.
    Der Engländer, Leslie Irgendwas, stand in der Tür, mit seinem ganzen Gewicht auf seinen Gehstock gestützt. Seltsam, sie hatte ihn gar nicht hereinkommen hören. Es war fast so, als wäre er dort aus dem Boden gewachsen.
    Sie hatte ihn bisher immer nur aus der Ferne gesehen. Das hier war ihre erste persönliche Begegnung.
    Und er entsprach exakt Ginas Beschreibung: beinahe e r schreckend mager, mit einer schrecklichen Körperhaltung. Genau wie Gina gesagt hatte, trug er das Paradebeispiel für eine tragisch missglückte Frisur auf dem Kopf und hatte sich so viel Sonnencreme ins Gesicht geschmiert, dass er selbst für einen Flug um die Sonne dicht über der Oberfläche noch au s reichenden Schutz gehabt hätte. Ein zwanzig Jahre altes Brillengestell sowie sein leicht belämmertes Schweigen ve r vollständigten schließlich den Eindruck eines Anthropologi e professors auf Zeitreise.
    Die Entfernung war so groß, dass sie nicht sagen konnte, ob Gina mit ihrer eher unhöflichen Vermutung – dass er nä m lich zudem noch Mundgeruch hatte – richtig lag, aber es hätte sie nicht im Geringsten überrascht. Das Mindeste, was man sagen konnte, war, dass er aus allen Poren emotionale Ve r nachlässigung auszuschwitzen schien.
    »Leslie, nicht wahr?«, sagte sie und brachte ein Lächeln zustande, weil es nicht seine Schuld war, dass er hier während ihrer einsamen Stunde hereingeplatzt war – ein Engländer bei der immer währenden Suche nach Tee. »Ich bin Molly Anderson.«
    Er rührte sich nicht von der Stelle, und durch die Art und Weise, wie er seinen Stock umklammerte, registrierte sie seine Hände. Sie waren groß und nicht so bleich, wie sie eigentlich erwartet hatte, ganz und gar nicht. Er besaß lange, kräftige Finger, mit denen er den Stock so fest umfasste, dass die Knöchel fast schon weiß waren.
    Seine Hände waren …
    Lieber Gott im Himmel. Sie blickte ihm direkt in die Augen, die sich hinter dieser Brille versteckten, und …
    Er sprang auf sie zu, aber er kam zu spät. Ihr Tablett landete mit lautem Krachen auf dem Zeltboden, das Metal l besteck klapperte so laut, dass es Tote aufgeweckt hätte.
    Er fluchte heftig, und es war David Jones’ immer noch so vertraute Stimme, die da aus dem Körper dieses Fremden drang. »Hast du eigentlich eine Vorstellung, wie unglaublich schwierig es ist, dich mal alleine zu erwischen?«
    Hatte sie jetzt doch angefangen zu halluzinieren?
    Aber er nahm die Brille ab, sodass sie seine Augen besser erkennen konnte, und … »Du bist es«, sagte sie schwer atmend und mit Tränen in den Augen. »Du bist es wirklich.« Sie streckte die Hand nach ihm aus, aber er wich zurück.
    Schwester Helen und Schwester Grace eilten mit hastigen Schritten über das Gelände, wollten sehen, was der Aufstand zu bedeuten hatte, hatten die Hand über die zusamme n gekniffenen Augen gelegt, damit sie durch die Fliegengitter etwas sehen konnten.
    »Du darfst niemandem verraten, dass du mich kennst«, sagte Jones schnell mit leiser, rauer Stimme. »Niemandem, nicht einmal deinem Freund, dem Priester, bei der Beichte, hast du verstanden?«
    »Bist du irgendwie in Gefahr?«, fragte sie. Du lieber Gott, er war so dünn. Und brauchte er den Stock wirklich, oder war das nur Tarnung? »Bleib doch mal stehen, damit ich …«
    »Nein. Nicht. Wir können nicht …« Er wich erneut zurück. »Wenn du auch nur das Geringste verrätst, Mol, ich schwöre, dann verschwinde ich und komme nie wieder zurück. Aber … wenn du mich hier gar nicht haben willst – und ich könnte es dir nicht verübeln …«
    »Nein!« Mehr konnte sie nicht mehr sagen, bevor Schwester Helen die Tür aufmachte und zuerst die Schweinerei auf dem Boden und dann Mollys erschüttertes Gesicht betrachtete.
    »Ojemine.«
    »Ich fürchte, das ist meine Schuld«, sagte Jones mit britischem Akzent und einer Stimme, die völlig anders klang als seine eigene. Helen eilte Molly zur Seite. »Ganz und gar meine Schuld. Ich habe Miss Anderson eine schlechte Nac h richt überbracht. Ich ahnte nicht, wie niederschmetternd das für sie sein würde.«
    Molly brach in Tränen aus.

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