Untitled
wegzulaufen.
Weil sie sie nicht beschützt hatte.
Es dauerte lange, bis Molly endlich das Wasser abdrehte.
Erschöpft stand sie einfach nur da, triefend, wollte sich nicht bewegen und wusste doch, dass es irgendwann sein musste.
Der Hauptgrund war jedoch, dass sie im Augenblick nicht wusste, wo sie hingehen sollte.
Gina hatte sich im Zelt zum Schlafen gelegt. Eine Mi t bewohnerin zu haben hatte seine Vor- und Nachteile.
Aber wenigstens waren es jetzt keine zwei Mitbewohner mehr. Nachdem die Busladung Priester heute Morgen wieder nach Nairobi zurückgefahren war, hatten sie ihren englischen Gast ausquartiert.
Molly bedauerte sehr, dass sie gar keinen Kontakt zu ihnen gehabt hatte. Ein Gespräch mit jemand Neuem wäre bestimmt nett gewesen. Aber einige der Besucher waren immer noch ziemlich krank, und das Krankenhaus wäre mit der Pflege einfach überfordert gewesen.
Gina hatte ihr von dem Zwischenfall mit dem Erbrochenen zwischen ihren Zehen erzählt und dadurch Mollys Gedanken auf Dave Jones gelenkt, wobei das natürlich nicht sein richtiger Name war.
Sie hatte sich angewöhnt, ihn nur noch Jones zu nennen, auch wenn er eigentlich Grady Morant hieß. Aber es gab zu viele bösartige Menschen, die Morants Tod herbeiwünschten. Und obwohl Molly bezweifelte, dass diese Menschen tatsäc h lich den ganzen weiten Weg aus dem südostasiatischen Dschungel bis hierher in die hinreißende Trostlosigkeit dieser Region Kenias machen würden, so hatte sie doch auf sehr schmerzhafte Weise erfahren müssen, dass das Böse einen sehr langen Arm haben konnte.
Und deshalb übte sie immer wieder, ihn auch in Gedanken nur Jones zu nennen – natürlich nur während der seltenen G e legenheiten, in denen sie überhaupt einen Gedanken an ihn zuließ.
So wie jetzt.
Und angesichts der Tatsache, dass Jones bei einer ihrer ersten Begegnungen unter anderem auf ihre Laufschuhe g e reihert hatte, gab es einen sehr naheliegenden Grund, au s gerechnet jetzt an ihn zu denken.
Im Gegensatz zu Ginas Episode mit Pater Dieter hatten Mollys Schuhe zum Zeitpunkt der Spuckattacke nicht an Mollys Füßen gesteckt, Gott sei Dank. Sondern hatten sich, zusammen mit Jones, in Mollys Zelt befunden, in einem Lager, das viel Ähnlichkeit mit diesem hier gehabt hatte, a b gesehen davon, dass es am anderen Ende der Welt gestanden hatte, auf einer kleinen, üppig bewachsenen, grünen Insel in Indonesien.
Dem amerikanischen Exilanten und Unternehmer – nichts weiter als eine höfliche Umschreibung für Schwarzhändler und Schmuggler – war übel geworden, und Molly hatte ihn als gute Samariterin bei sich aufgenommen. Und ihm genau die liebevolle Pflege angedeihen lassen, die er auch bekommen hätte, hätte sie ihn nicht so unglaublich attraktiv gefunden.
Dieses grippebedingte Ereignis war der Anfang einer glühend heißen Liebesaffäre geworden. Die, wie es bei glühend heißen Liebesaffären meistens der Fall ist, böse g e endet hatte.
Und dennoch hatte es Zeiten gegeben, wo Molly überall, wo sie war, nach Jones Ausschau gehalten hatte. Sie hatte immer damit gerechnet, ihn eines Tages unvermittelt vor sich zu sehen.
Sie hatte wirklich gedacht, er würde sie suchen, er würde es nicht aushalten ohne sie. Hatte wirklich gedacht, dass er sie geliebt hatte. Und dass er, egal, wo er war, sie immer noch liebte. Daran hatte sie aus tiefstem Herzen geglaubt.
Aber nach beinahe drei langen Jahren hatte sie das Warten und das Ausschauhalten aufgegeben.
Und überließ sich wirklich nur noch in wenigen Momenten ihrer Obsession, um die Qualen des realen Alltags mit Hilfe einer schönen, romantischen Zwangsvorstellung beiseite zu schieben.
Wenn zum Beispiel ein dreizehnjähriges Mädchen au f grund frauenfeindlicher Ignoranz sterben musste.
Molly bürstete sich die Haare und verstaute ihre Dusc h sachen wieder im Schrank. Sie hängte das Handtuch auf die Leine und überlegte hin und her, was sie im Augenblick nötiger hatte: Essen oder Schlaf.
Das Essen siegte und sie machte sich auf den Weg ins Küchenzelt.
Es war früher Nachmittag, und um diese Zeit lag das Zelt verlassen da. Nicht einmal Schwester Helen, die selbst e r nannte Königin der Küche – furchtbar lieb, aber äußerst schwatzhaft – war zu sehen. Diese Einsamkeit war genau das, was Molly brauchte, und sie wusste, dass Schwester Doppel-M – so unterschiedlich ihre Persönlichkeiten auch sein mochten und so oft sie deshalb aneinandergerieten – für Helens Nichtanwesenheit gesorgt
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