Untitled
Wollen Sie zwanzig Mäuse riskieren?«
Max lächelte und legte das Buch zur Seite. »Im Auge n blick nicht, danke. Ich erwarte Besuch von einer Bekannten.«
Diese Bekannte war Gina. Eine Bekannte. Nicht meine Freundin. Nicht Geliebte.
Aber okay. So niederschmetternd es auch sein mochte, jetzt wusste sie wenigstens, woran sie war.
Gina sah, wie Ajay Max die Hand hinstreckte. »Ich bin Ajay Mosley. Autounfall.«
Das war eindeutig eine Prüfung, und Max bestand sie mit Bravour. Er nahm die entstellte Hand des Jungen ohne mit der Wimper zu zucken und schüttelte sie. »Max Bhagat. Schus s wunde.«
»Ja, ich weiß. Sie sind der große Held, von dem alle reden. Mr. FBI, der von einem Terroristen einen Schuss in die Brust gekriegt hat und das Schwein trotzdem noch erledigt hat. Kinderspiel.« Ajay lehnte sich zurück. »Und, was sagen die Leute über mich? ›Armer kleiner Ajay, wird wohl ins Gras beißen müssen, wenn er nicht bald ’ne Niere kriegt‹?« Es folgte ein gespieltes Schniefen, dann wischte er sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel.
Max schüttelte den Kopf. »Ach was. Du bist genau wie ich. Klarer Fall von NTK.«
Ajay saß etliche Sekunden lang stumm und mit z u sammengekniffenen Augen da. »Also gut, Chef«, sagte er schließlich. »Ich beiß an. Was soll das heißen, bla-bla-K?«
»Nicht totzukriegen«, sagte Max.
Ajay lachte. Das gefiel ihm offensichtlich. »Na klar, Mann!«
Die Betreuerin kam näher. »Ajay, es wird Zeit für deinen Termin bei Kevin.«
»Kevin, der Folterknecht«, sagte Ajay. »Die Sonne geht auf! Haben Sie das Kevin-Monster schon kennen gelernt, Mr. FBI?« Mühelos wechselte er den Akzent und klang nun wie ein kalifornischer Surfer. »Mann! Das reicht nich’! Noch doller strecken! Wir wissen doch, wie viel besser du dich morgen fühlst, wenn du heute vor Schmerzen aus den Ohren blutest, Mann!«
Max lachte. »Ja, genau«, stimmte er zu. »Ich bin zweimal am Tag in seiner Folterkammer. Zur Physiotherapie. Und ich heiße Max.«
»Wie wär’s mit einer Partie Billard, rein freundschaf t lich?«, fragte Ajay. »Morgen Früh, so gegen zehn? Den Gel d beutel brauchen Sie noch nicht mitzubringen. Zumindest nicht, bis ich weiß, ob Sie besser sind als ich.«
Die Krankenschwester zog seinen Rollstuhl vorsichtig weg. »Ich glaube, Mr. Bhagat hat anderes zu tun …«
»Morgen Früh klingt prima«, unterbrach Max. »Aber ich bin bis zehn bei Kevin, und danach muss ich duschen. Wie wär’s mit halb elf? Falls ich’s überlebe.«
»Miss LeBlanc.« Ajay wandte sich mit gestelztem englischem Akzent an seine Betreuerin. »Bitte sehen Sie in meinem Terminkalender nach, und tragen Sie für den Vo r mittag ein Meeting mit meinem guten Freund Max ein.« Er grinste. »Bis dann, Bruder.«
Als der Junge und die Schwester herauskamen, zog sich Gina noch ein Stück weiter in den Flur zurück.
Aber es war zu spät – Max hatte sie gesehen.
»Ist Victor schon wieder in New York?«, fragte er.
»Nein, da hinten.« Gina zeigte mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Flur, wo sie ihren Bruder zum letzten Mal gesehen hatte. »Ich glaube, er flirtet mit den Kranke n schwestern.« Sie kam ins Zimmer. »Wie geht es dir?«
Sein Blick war wachsam, seine Miene neutral. »Schlafe immer noch zu viel.«
»Schlaf tut dir gut«, sagte sie. »Dann wirst du schneller wieder gesund.«
Und so kam es, dass sie einander in die Augen sahen. Es war eindeutig, dass sie beide an ihr letztes Zusammensein dachten, daran, wie sie ihn auf die Matratze gedrückt und b e stiegen hatte …
Oh ja, er dachte definitiv daran. Er versuchte, es zu ve r bergen, aber sie merkte es.
Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ihren Bruder als Anstandswauwau mitzubringen. Vielleicht hätten sie die Diskussion, vor der sie sich so fürchtete, gar nicht g e habt, wenn sie alleine gekommen wäre. Vielleicht musste sie nichts weiter tun, als Max in ihre Augen blicken zu lassen, damit er erkannte, wie sehr sie ihn begehrte, und die Hand ausstrecken und …
»Verzeihung.«
Gina und Max drehten sich gleichzeitig um und sahen die Krankenschwester, die mit Ajay Billard gespielt hatte, in der Tür stehen.
»Tut mir leid, dass ich Sie störe«, sagte sie. »Ich wollte nur … ich heiße Gail.« Mit diesen Worten trat sie näher und reichte ihnen die Hand. »Wir sind uns noch nicht vorgestellt worden. Ich arbeite in der Regel mit Ajay.« Sie hatte ein liebevolles Gesicht, ein warmes Lächeln. »Ich wollte nur …
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