Untitled
Weilet«
»Monate«, sagte er.
Molly lachte – ein ungläubiger Ausbruch. »Du bist um die ganze Welt gereist, um …«
»Kaffee zu trinken.« Er nickte. »Mit dir. Um mit dir an einem Tisch zu sitzen, dir gegenüber. Scheiße, Molly, und wenn ich nur im gleichen Küchenzelt wie du sitzen kann, es muss nicht einmal der gleiche Tisch sein.«
»Monatelang«, stellte sie klar. »Also Zeiteinheiten, die im Normalfall einen kompletten Mondzyklus umfassen.«
»Ja, genau«, erwiderte Jones. »Und am besten fangen wir damit an, dass du eine Zeit lang nicht mehr mit mir sprichst, vielleicht, ich weiß nicht, ein paar Wochen lang.«
Sie wurde langsam wütend. Sie kapierte es einfach nicht. »Das kann doch nicht dein Ernst …«
»Jones ist tot«, sagte er. »Denk doch mal nach. Ich bin der Überbringer dieser Nachricht. Wie heißt dieses Sprichwort noch mal, du weißt schon, dass der, der die schlechte Nac h richt verkündet, erschossen wird …? Also gut, kirchliche Mi t arbeiterinnen erschießen für gewöhnlich niemanden, aber auch so jemand würde wahrscheinlich eine Weile jeden Kontakt vermeiden.«
»Ich bin jedenfalls alt genug, um zwischen der schlechten Nachricht und ihrem Überbringer sehr wohl unterscheiden zu können«, schoss sie zurück. »Oder hast du die Falten nicht gesehen, die die letzten drei Jahre in meinem Gesicht hinte r lassen haben …?«
»Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass alles echt au s sieht«, fiel er ihr schon wieder ins Wort. »Begreifst du denn nicht, dass allein die Tatsache, dass ich hier bin, mir eine Heidenangst einjagt? Ich will dich auf keinen Fall in Gefahr bringen. Nicht schon wieder. Ich muss, weiß Gott, schon für das, was ich beim letzten Mal angestellt habe, in der Hölle schmoren …«
Sie unterbrach ihn und wischte mit einer einzigen Han d bewegung seine Todsünden und die Jahre, in denen er ve r zweifelt versucht hatte, sich selbst von seiner Schuld zu e r lösen, beiseite. »Ich soll dich also ein, zwei Wochen lang ignorieren, weil du glaubst, dass dadurch alle, die uns w o möglich beobachten – wobei es, wenn ich das hinzufügen darf, in Wirklichkeit vielleicht gar niemanden gibt, der uns beobachtet –, dich für jemand anderen halten. Und? Was dann?«
Einer der Menschen, der sie in Wirklichkeit vielleicht gar nicht beobachtete – die Streitaxt, Schwester Maria-Margarit –, hatte das quietschende Fliegengitter des größeren Hol z rahmenzeltes der Nonnen geöffnet. Sie knotete den Gürtel ihres Morgenmantels fest und machte sich auf den Weg in ihre Richtung.
Er musste schnell reden. »Dann lassen wir’s langsam a n gehen. Gelegentliche kleine Gespräche im Küchenzelt. Irgendwann lädst du mich dann zum Tee ein. Tagsüber. Zusammen mit deiner Mitbewohnerin. Wir dehnen das Ganze aus – so viele Monate, wie ein Eigenbrötler wie Leslie Pollard eben brauchen würde, bis er merkt, dass er sich in dich ve r liebt hat – und bis er sich endlich dazu aufraffen kann, auch etwas zu unternehmen.«
Und die Schwester war bei ihnen.
Leslie wandte sich zu ihr. »Ich bedaure wirklich, haben wir Sie aufgeweckt? Miss Anderson konnte nicht schlafen, selbs t redend, nachdem sie solch schlechte Kunde erhalten hat … Sie kam mit einigen Fragen zu mir ans Zelt, aber das ist natü r lich nicht der richtige Ort für ein Gespräch, also … dachte ich, vielleicht ein Glas warme Milch …?« Er senkte ve r schwörerisch die Stimme. »Sie hatte sich so aufgeregt, ich wollte sie nicht alleine lassen.«
Schwester Maria-Margarit fing nicht an zu glucken, nahm Molly nicht in den Arm, zeigte nicht das kleinste bisschen Mitgefühl. Der Blick, mit dem sie Jones bedachte, war voller Misstrauen.
Aber es war wahrscheinlich genau der Blick, mit dem sie jeden Mann auf Gottes Erdboden betrachtete.
Also drehte er sich wieder zu Molly um, nickte ihr einen Abschiedsgruß zu und schickte ihr dabei eine stumme En t schuldigung. »Dann übergebe ich Sie also in gute Hände, Miss Anderson.«
»Danke, dass Sie so freundlich waren«, sagte sie. »Mr. Pollard. Und ich möchte mich noch einmal für die Störung und … alles entschuldigen.«
Er wusste genau, was sie mit »alles« gemeint hatte, und, oh ja, auf dem Weg zurück ins Zelt wusste er ganz genau, dass die nächsten paar Monate zu den längsten seines Lebens g e hören würden.
6
Sheffield, Physical Rehab Center, McLean, Virginia
7. Dezember 2003
Vor achtzehn Monaten
»Wie warst du eigentlich als Kind?« Ginas Frage
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