Untitled
entführt?« fuhr sie ihn an. »Eins ist der Sohn des Finanzministers. Das zweite die Tochter von Katherine Rose. Von der Schauspielerin Katherine Rose Dunne. Was meinst du denn, wie's mir so geht? Mir ist ein bißchen schlecht im Magen. Ich bin wütend. Und außerdem bin ich wie gelähmt.«
»Ich wollte doch bloß guten Tag sagen. Tag, Jezzie. Zum Teufel, ich weiß doch, was hier passiert ist.«
Aber Jezzie Flanagan war schon fort, jedenfalls so weit fort, um nichts mehr zu Victor zu sagen. Sie war nervös. Und ihr war übel. Und vor allem war sie teuflisch angespannt. Sie sah sich in der überfüllten Eingangshalle nicht nach bekannten Gesichtern um, nur nach den richtigen Gesichtern. Und da waren zwei davon!
Charlie Chakely und Mike Devine, ihre Agenten. Die beiden Männer, die sie auf den kleinen Michael Goldberg und außerdem auf Maggie Rose Dunne angesetzt hatte, weil die beiden gemeinsam zur Schule und nach Hause fuhren.
»Wie konnte das passieren?« Ihre Stimme war laut. Es war ihr gleich, wenn die Gespräche in der Nähe abbrachen und die Leute sie anstarrten. In den Lärm und das Chaos in der Schuleingangshalle war ein schwarzes Loch geschlagen worden. Dann senkte sie die Stimme zu einem Flüstern, als sie ihre Agenten verhörte, was bis jetzt geschehen sei. Sie hörte ruhig zu, während sie sich alles erklären ließ. Offenbar gefiel ihr gar nicht, was sie zu sagen hatten.
»Schert euch zum Teufel«, explodierte sie zum zweiten Mal. »Raus hier! Aus meinen Augen!«
»Wir hätten gar nichts tun können«, versuchte Charlie Chakely zu protestieren. »Was hätten wir schon tun können? Herr und Heiland!« Dann schlichen er und Devine weg.
Wer Jezzie Flanagan kannte, hätte ihre emotionale Reaktion verstehen können. Zwei Kinder wurden vermißt. Es war in ihrem Zuständigkeitsbereich passiert. Sie war die Einsatzleiterin für die Agenten vom Secret Service, die alle bis auf den Präsidenten bewachten: wichtige Kabinettsminister und ihre Familien, etwa ein halbes Dutzend Senatoren, darunter Ted Kennedy. Sie war direkt dem Finanzminister unterstellt.
Sie hatte unglaublich hart gearbeitet, um soviel Vertrauen und Verantwortung zu bekommen, und sie war verantwortungsbewußt. Eine Hundertstundenwoche, Jahr für Jahr kein Urlaub, kein Privatleben.
Sie hörte das Geschwätz schon, ehe es dazu kam. Zwei ihrer Agenten hatten Mist gebaut. Es würde zu einer Untersuchung kommen – und zu einer altmodischen Hexenjagd. Jezzie Flanagan saß auf dem heißen Stuhl. Weil sie die erste Frau war, die diesen Job je bekommen hatte, würde der Sturz, falls es dazu kam, steil und schmerzlich sein und in aller Öffentlichkeit stattfinden.
Schließlich sah sie den einen Menschen, nach dem sie in der Menge gesucht hatte – in der Hoffnung, sie werde ihn nicht finden. Finanzminister Jerrold Goldberg war schon in der Schule seines Sohnes angekommen.
Bei dem Minister standen Bürgermeister Carl Monroe, ein Sonderagent vom FBI namens Roger Graham, den sie kannte, und zwei Schwarze, die sie nicht gleich erkannte. Beide Schwarze waren groß, einer extrem groß, ein Hüne.
Jezzie Flanagan holte tief Luft und ging schnell zu Minister Goldberg und den anderen hinüber.
»Es tut mir ungeheuer leid, Jerrold«, flüsterte sie, als sie ankam. »Ich bin mir sicher, daß die Kinder gefunden werden.«
»Ein Lehrer«, war alles, was Jerrold Goldberg herausbrachte. Er schüttelte den Kopf mit den kurzgestutzten weißen Locken. Seine Augen waren feucht und glänzten. »Ein Lehrer von Kindern, kleinen Kindern. Wie konnte das passieren?«
Er war eindeutig verzweifelt. Der Minister sah zehn Jahre älter aus, als er tatsächlich war: neunundvierzig. Sein Gesicht war so weiß wie die vergipsten Wände der Schule.
Ehe er nach Washington kam, war Jerrold Goldberg bei Salomon Brothers in der Wall Street gewesen. Er hatte in den verrückten, konjunkturstarken achtziger Jahren zwanzig bis dreißig Millionen verdient. Er war intelligent, weltgewandt und hatte das schon oft unter Beweis gestellt. Er war so pragmatisch, wie man sich das nur denken kann.
An jenem Tag war er jedoch nur der Vater eines entführten kleinen Jungen, und er sah äußerst hinfällig aus.
8. Kapitel
Ich sprach mit Roger Graham vom FBI, als die Einsatzleiterin vom Secret Service, Jezzie Flanagan, zu uns trat. Sie sagte, was sie konnte, um Minister Goldberg zu trösten. Dann wandte sich das Gespräch wieder ruhig der mutmaßlichen Entführung zu und den nächsten
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