Untitled
Wahrheit gar nichts sehen konnte.
Zum zweiten – oder dritten – Mal war aus Pechschwarz blendendes Weiß geworden.
Dann verdeckte eine Silhouette fast das ganze Licht. Maggie konnte immer noch nicht sehen, wer da war. Hinter der Gestalt strahlte Licht.
Maggie kniff fest die Augen zusammen. Machte sie dann wieder auf. Sie wiederholte das ständig.
Sie konnte wirklich nichts sehen. Konnte sich nicht darauf konzentrieren, wer oder was das war. Sie mußte weiter blinzeln. Der da oben war, mußte sehen, wie sie blinzelte, mußte wissen, das sie lebte.
»Mr. Soneji? Bitte, helfen Sie mir«, versuchte sie zu rufen. Ihre Kehle war so trocken. Ihre Stimme kam krächzend und nicht erkennbar heraus.
»Halt's Maul! Halt's Maul!« rief eine Stimme von oben.
Jemand war da oben! Jemand war wirklich da oben und konnte sie herausholen.
Es klang wie … wie die Stimme einer uralten Frau.
»Bitte, helfen Sie mir. Bitte«, flehte Maggie.
Eine Hand fuhr herunter und schlug ihr heftig ins Gesicht.
Maggie schrie auf. Es war mehr die Angst als der Schmerz, aber der Schlag tat auch weh. Sie war noch nie geschlagen worden. Ihr dröhnte der Kopf.
»Schluß mit dem Geheul!« Die gespenstische Stimme kam näher.
Dann stieg die Gestalt in das Grab und war direkt über ihr. Maggie konnte starken Körpergeruch und einen stinkenden Atem riechen. Sie wurde jetzt nach unten gedrückt und war zu schwach, sich zu wehren.
»Leg dich ja nicht mit mir an, du kleines Mistvieh! Leg dich ja nicht mit mir an! Für was hältst du dich denn, du kleines Mistvieh!«
»Erhebe ja nie die Hand gegen mich! Hörst du? Wag das bloß nicht!«
Bitte, lieber Gott, was war denn das?
»Bist die berühmte Maggie Rose, stimmt's? Die reiche, verzogene Göre! Ich sag dir ein Geheimnis. Unser Geheimnis: Du kratzt ab, kleines reiches Mädchen. Du kratzt ab!«
17. Kapitel
Am nächsten Tag war Heiliger Abend. Fröhliche Feiertagsgefühle wollten nicht aufkommen. Und vor dem ersten Feiertag wurde alles noch viel schlimmer.
Keiner von uns war in der Lage gewesen, die üblichen Feiertagsvorbereitungen mit unseren Familien zu treffen. Das trug zu der Anspannung bei, unter der das Geiselrettungsteam stand. Es machte das Elend des deprimierenden Auftrags noch größer. Falls Soneji sich aus diesem Grund für die Weihnachtszeit entschieden hatte, war es eine gute Wahl gewesen. Er hatte allen ein beschissenes Weihnachten beschert.
Gegen zehn Uhr morgens ging ich die Sorrell Avenue entlang zum Haus der Goldbergs. Sampson hatte sich weggeschlichen, um eine Zeitlang an den Morden im Südosten zu arbeiten. Wir wollten uns gegen Mittag wieder treffen und die Horrorgeschichten austauschen.
Ich sprach über eine Stunde mit den Goldbergs. Sie hielten sich nicht gut. In vielerlei Hinsicht waren sie noch entgegenkommender als Katherine und Thomas Dunne. Sie waren strengere Eltern als die Dunnes, aber Jerrold und Laurie Goldberg liebten ihren Sohn zärtlich. Vor elf Jahren hatten die Ärzte Laurie Goldberg gesagt, sie könne keine Kinder bekommen. Ihr Uterus war vernarbt gewesen. Als sie merkte, daß sie mit Michael schwanger war, hatte es wie ein Wunder gewirkt. Hatte Soneji das gewußt? fragte ich mich. Wie sorgfältig hatte er seine Opfer ausgewählt? Warum Maggie Rose und Michael Goldberg?
Die Goldbergs erlaubten mir, Michaels Zimmer zu sehen und eine Weile allein darin zu verbringen. Ich machte die Tür zu und saß ruhig da. Ich hatte das in Maggies Zimmer bei den >
Dunnes auch getan.
Das Zimmer des Jungen war verblüffend. Es war eine Schatztruhe voller hochmoderner Computer-Hardware und – Software: Macintosh, Nintendo, Prodigy, Windows. Michael Goldberg war besser ausgerüstet als die Computerabteilung der Polizei. An den Wänden klebten Plakate von Katherine Roses Filmen Tabu und Flitterwochen . Ein Plakat des Leadsängers von Skid Row, Sebastian Bach, hing über dem Bett. In Michaels Bad starrte mich ein Bild von Albert Einstein mit einem lila Punkhaarschnitt an. Außerdem eine Titelseite der Zeitschrift Rolling Stone mit der Frage: »Wer hat Pee-wee Herman umgebracht?«
Auf dem Schreibtisch des Jungen stand ein gerahmtes Foto von Michael und Maggie Rose. Die beiden Kinder posierten Arm in Arm und sahen wie die allerbesten Freunde aus. Was hatte Soneji inspiriert? War es etwas an ihrer besonderen Freundschaft gewesen?
Beide Goldbergs hatten Mr. Soneji nie kennengelernt, aber Michael hatte viel von ihm gesprochen. Soneji war der einzige Mensch unter Kindern
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