Untitled
Beim Backen klappte das meistens. Dieses Mal nicht. Gary war unverbesserlich. Er war außerdem liebenswert, liebevoll und hell wie eine Tausend-Watt-Lampe. Das hatte sie als erstes zu ihm hingezogen.
Sie hatte ihn bei einer Studentenparty an der University of Delaware kennengelernt. Delaware war als Universität unter Garys Würde gewesen. Er war von Princeton hergekommen. Sie hatte noch nie im Leben mit einem so klugen Menschen gesprochen; nicht einmal ihre Lehrer waren so klug wie Gary gewesen.
Sie hatte ihn 1982 geheiratet, weil er so eine liebe Seite hatte. Gegen den Rat aller. Ihre beste Freundin Michelle Löwe glaubte an Tarotkarten, die Wiedergeburt und das ganze Zeug. Sie hatte für Gary und Missy Horoskope erstellt. »Sag die Hochzeit ab, Missy«, hatte sie gesagt. »Hast du ihm denn noch nie in die Augen geschaut?« Aber Missy hatte sich die Hochzeit nicht ausreden lassen, gegen den Rat aller. Vielleicht hielt sie deshalb durch dick und dünn zu ihm. Durch so dünn, daß niemand das Recht hatte, ihr das zuzumuten. Manchmal war es, als müsse sie zwei Garys ertragen. Gary und seine unglaublichen Phantasiespiele.
Jetzt stand etwas wirklich Schlimmes bevor, dachte sie, als sie eine Tüte Streusel zum Teig gab. Jetzt würde er ihr bald sagen, ihm sei gekündigt worden. Das scheußliche alte Muster zeichnete sich wieder ab.
Gary hatte ihr schon erzählt, er sei »schlauer als alle anderen« bei der Arbeit. (Das war zweifellos wahr.) Er hatte ihr erzählt, er sei »allen haushoch überlegen«. Er erzählte ihr, seine Chefs seien begeistert von ihm. (Am Anfang hatte das vermutlich gestimmt.) Er hatte ihr erzählt, sie würden ihn bald zum Verkaufsleiter machen.(Das war eindeutig eine von Garys »Geschichten«.) Dann ging der Ärger los. Gary sagte, sein Chef werde eifersüchtig auf ihn. Die Arbeitszeit sei unmöglich. (Das stimmte durchaus. Er war die ganze Woche unterwegs und manchmal auch an den Wochenenden.) Die Gefahr zeichnete sich deutlich ab. Das Traurige daran war, wenn er es mit dieser Arbeit nicht schaffte, mit diesem Chef, wie sollte er es dann woanders schaffen?
Missy Murphy war überzeugt, Gary könne jetzt jeden Tag nach Hause kommen und ihr erzählen, ihm sei wieder nahegelegt worden zu kündigen. Seine Tage als Reisevertreter für die Atlantic Hearing Company waren eindeutig gezählt. Wo sollte er danach Arbeit finden? Wer hätte mehr Verständnis für ihn haben können als sein gegenwärtiger Chef– ihr Bruder Marty?
Warum mußte es immer so schwer sein? Warum war sie so ein leichtes Opfer für die Gary Murphys dieser Welt?
Missy Murphy fragte sich, ob es heute abend soweit wäre. War Gary schon wieder entlassen worden? Würde er ihr das sagen, wenn er heute abend von der Arbeit nach Hause kam? Wie konnte so ein intelligenter Mann bloß so ein unglaublicher Versager sein? fragte sie sich. Die erste Träne fiel in den Plätzchenteig, dann ließ Missy den Niagarafällen freien Lauf. Ihr ganzer Körper zitterte und bebte.
27. Kapitel
Es war mir nie besonders schwergefallen, über meine Enttäuschungen als Polizist oder Psychologe zu lachen. Dieses Mal war es nicht so einfach. Soneji hatte uns im Süden geschlagen, in Florida und South Carolina. Wir hatten Maggie Rose nicht zurückbekommen. Wir wußten nicht, ob sie noch lebte. Nachdem ich fünf Stunden lang vom FBI vernommen worden war, wurde ich nach Washington geflogen, wo ich meiner Abteilung dieselben Fragen noch einmal beantworten mußte. Einer der letzten Inquisitoren war Chief Pittman. Der Jefe erschien um Mitternacht. Er hatte sich für unsere Sondersitzung geduscht und rasiert.
»Sie sehen absolut beschissen aus«, sagte er zu mir. Das waren die ersten Worte aus seinem Mund.
»Ich bin seit gestern morgen auf«, erklärte ich. »Ich weiß, wie ich aussehe. Sagen Sie mir was, was ich nicht schon weiß.«
Ich wußte, daß das ein Fehler war, ehe die Worte herauskamen. Normalerweise gehe ich nicht so aus der Deckung, aber ich war kaputt und müde und hatte ganz allgemein die Nase voll.
Der Jefe beugte sich auf einem der Metallstühle in seinem Konferenzzimmer vor. Ich konnte seine Goldfüllungen sehen, als er mit mir sprach. »Aber gern, Cross. Ich muß Sie von dem Kidnappingfall abziehen. Zu Recht oder zu Unrecht, die Presse hängt eine Menge von dem, was schiefgegangen ist, Ihnen an. Das FBI bekommt nichts davon ab. Außerdem schlägt Thomas Dunne Krach. Kommt mir verständlich vor. Das Lösegeld ist weg – wir haben seine
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