Untitled
arbeiten. Soneji mochte die Nacht.
Etwa eine halbe Stunde nach dem Dunkelwerden setzte das Flugzeug zur Landung an. Unter uns waren blinkende Lichter – aus der Luft sah es nach einer Kleinstadt aus. Das war es. Jetzt kam der Showdown. Der Austausch stand bevor.
»Keine Fragen. Denn ich sage Ihnen nichts«, sagte er, ohne sich vom Kontrollpult abzuwenden.
»Komisch, warum überrascht mich das nicht?« sagte ich. Ich versuchte, so zu tun, als wollte ich das Gewicht im Sitz verlagern, und riß an der Armlehne. Ich spürte, wie etwas nachgab. Ich hatte Angst davor, mehr Schaden anzurichten.
Der Flugplatz war klein, aber wenigstens gab es einen. Ich sah zwei weitere kleine Flugzeuge neben einem ungestrichenen Schuppen. Der Pilot versuchte nicht, mit dem Boden Funkkontakt aufzunehmen. Mein Herz raste.
Auf dem Dach des Gebäudes balancierte ein wackeliges altmodisches Flughafenschild. Als wir holpernd zum Halten kamen, war niemand zu sehen. Kein Gary Soneji. Keine Maggie Rose. Jedenfalls noch nicht.
Jemand hat hier Licht gemacht, dachte ich. Wo zum Teufel stecken sie?
»Soll hier der Austausch stattfinden?« Ich riß wieder an der Armlehne. Mit meiner ganzen Kraft dahinter.
Der Kontaktmann stand auf. Er quetschte sich an mir vorbei. Er stieg aus dem Flugzeug. Er trug den Koffer mit den zehn Millionen.
»Wiedersehen, Detective Cross«, sagte er, als er sich umdrehte. »Tut mir leid, aber ich hab's eilig. Machen Sie sich nicht die Mühe, die Gegend abzusuchen. Das Mädchen ist nicht hier. Nicht mal irgendwo in der Nähe. Wir sind übrigens wieder in den Staaten. Sie sind jetzt in South Carolina.«
»Wo ist das Mädchen?« schrie ich ihm nach und zerrte an den an die Armlehne angeketteten Handschellen. Wo war das FBI? Wie weit hinter uns waren sie?
Ich mußte etwas tun. Ich mußte jetzt handeln. Ich stand auf, um Hebelwirkung zu bekommen, dann riß ich mit meinem ganzen Gewicht und meiner ganzen Kraft an der Armlehne des kleinen Flugzeugs. Wieder und wieder zerrte ich daran. Das Stück Kunststoff und Metall löste sich halb aus dem Sitz. Ich machte weiter. Die andere Hälfte der Armlehne brach mit einem Reißgeräusch ab, einem Geräusch wie beim schmerzhaften Ziehen eines tiefsitzenden Zahnes.
Zwei schnelle Schritte, und ich war an der offenen Flugzeugtür. Der Kontaktmann war schon mit dem Koffer unterwegs. Ich sprang ihn an. Ich mußte ihn aufhalten, bis das FBI hier war. Außerdem wollte ich den Scheißkerl flachlegen, ihm zeigen, wer jetzt das Sagen hatte.
Ich stieß auf den Kontaktmann herunter wie ein Falke auf eine Ratte. Wir beide prallten auf den Asphalt und rangen nach Luft. Die Armlehne baumelte noch an den Handschellen. Metall kratzte ihm übers Gesicht und schürfte Blut. Ich versetzte ihm mit dem freien Arm einen Schlag.
»Wo ist Maggie Rose? Wo ist sie?« schrie ich so laut, wie meine Lunge hergab.
Zu meiner Linken, über der schimmernden Dunkelheit des Meeres, sah ich Lichter, die auf uns zukamen, sich schnell näherten. Das mußte das FBI sein. Ihre Überwachungsflugzeuge kamen mir zu Hilfe. Es war ihnen gelungen, uns zu folgen.
Im selben Augenblick traf mich etwas im Nacken. Es fühlte >
sich wie ein Bleirohr an. Ich wurde nicht sofort bewußtlos. Soneji? schrie eine Stimme in mir. Ein zweiter schwerer Schlag traf mich am Hinterkopf, an der empfindlichen Stelle. Dieses Mal ging ich zum Auszählen zu Boden. Ich sah weder, wer den Schlag geführt, noch was er benutzt hatte.
Als ich zu mir kam, war der kleine Flugplatz in South Carolina in blendendes Licht getaucht und voller Geschäftigkeit. Das FBI war in voller Stärke vertreten. Das galt auch für die Ortspolizei. Überall standen Notarztwagen und Feuerwehrautos.
Der Kontaktmann jedoch war verschwunden. Mit den zehn Millionen Dollar Lösegeld. Er war unbehelligt weggekommen. Perfekte Planung von Soneji. Wieder ein perfekter Schachzug.
»Das kleine Mädchen? Maggie Rose?« fragte ich einen kahl werdenden Notarzt, der meine Kopfverletzungen versorgte.
»Nein, Sir«, sagte er langsam und in schleppendem Tonfall. »Das kleine Mädchen wird immer noch vermißt. Maggie Rose Dunne ist hier in der Gegend nie gesehen worden.«
25. Kapitel
Crisfield, Maryland, lag unter einem düsteren, elefantengrauen Himmel. Den ganzen Tag hatte es immer wieder geregnet. Ein einsamer Streifenwagen raste mit kreischender Sirene schlüpfrige Landstraßen entlang.
Im Auto saßen Artie Marshall und ehester Dils. Dils war sechsundzwanzig, was ihn genau
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