Untot in Dallas
recht halbherzig seinen Einzug, als könne er jederzeit wieder verschwinden und uns erneut der erstickenden Hitze überantworten, die hier im Juli herrscht. Er gibt sich ungern zu erkennen. Aber ich war auf der Hut an diesem Morgen, weshalb ich seine Spuren durchaus entdecken konnte. Herbst und Winter - das hieß längere Nächte, mehr Zeit mit Bill, mehr Stunden zum Schlafen.
Also war ich guter Laune, als ich zur Arbeit fuhr und beim Anblick des Buick, der einsam und allein dort auf dem großen Kundenparkplatz vor unserem Lokal stand, kam mir die Erinnerung an Andys überraschende Zechtour am Abend zuvor wieder in den Sinn. Ich muß gestehen, ich lächelte beim Gedanken daran, wie er sich an diesem Morgen wohl fühlen mochte. Gerade wollte ich vom Kundenparkplatz abbiegen und ums Haus herumfahren, um meinen Wagen dort hinten auf dem Parkplatz der Angestellten abzustellen, da bemerkte ich, daß die rechte hintere Tür von Andys Wagen ein wenig offenstand. Das hieß aber auch, daß die Innenbeleuchtung des Wagens brannte und daß sich die Batterie entlud. Das würde Andy gehörig ärgern. Er würde ins Lokal kommen und einen Abschleppwagen rufen oder jemanden bitten müssen, ihm Starthilfe zu geben. Also schaltete ich mein Auto in den Leerlauf und stieg aus, wobei ich den Motor laufen ließ. Wie sich herausstellte, war ich viel zu optimistisch gewesen. Ich hätte den Motor lieber abstellen sollen.
Ich wollte die hintere Tür von Andys Wagen schließen, aber das war nicht möglich, die Tür gab gerade mal zwei Zentimeter nach. Also warf ich mich mit dem ganzen Körper dagegen, denn ich dachte, so könnte ich das Schloß auf jeden Fall zum Einschnappen bringen und mich dann einfach rasch wieder davonmachen. Aber auch so ließ sich die Tür nicht schließen. Dann wehte ein Lufthauch über den Parkplatz, und ich bekam einen ganz schrecklichen Geruch in die Nase, der mir vor Entsetzen die Kehle zuschnürte. Der Geruch war mir nicht unbekannt. Ich hielt mir die Hand vor den Mund - was allerdings bei diesem Gestank wenig half - und warf einen vorsichtigen Blick auf den Rücksitz des Wagens.
„Oh Himmel!“ flüsterte ich dann entsetzt. „Scheiße.“ Irgend jemand hatte Lafayette, einen der Köche, die sich um die Küche im Merlottes kümmerten, auf den Rücksitz gezwängt. Er war nackt. Sein schmaler brauner Fuß mit den tiefrot lackierten Fußnägeln hatte verhindert, daß die Wagentür sich schließen ließ, und es war Lafayettes Leiche, die hier derart zum Himmel stank.
Ich stolperte zurück, kletterte wieder in meinen Wagen und fuhr um das Haus herum zum Angestelltenparkplatz, wobei ich die ganze Zeit ohne Unterlaß auf die Hupe drückte. Da kam auch schon Sam Merlotte aus dem Hintereingang gestürzt, eine Schürze um die Taille gebunden. Ich bremste, stellte den Motor ab und war so schnell aus dem Auto gesprungen, daß ich gar nicht recht mitbekam, ob und wie ich diese Dinge getan hatte. Dann klebte ich auch schon an Sam wie eine statisch aufgeladene Socke frisch aus dem Wäschetrockner.
„Was ist passiert?“ ertönte die Stimme meines Chefs dicht an meinem Ohr. Ich lehnte mich etwas zurück, um Sam anschauen zu können. Den Kopf brauchte ich dazu nicht zu recken, denn Sam war ein kleiner Mann. Sein rotgoldenes Haar glitzerte in der Sonne. Er hatte tiefblaue Augen, die weit aufgerissen und fragend auf mich gerichtet waren.
„Lafayette!“ sagte ich, und dann fing ich an zu weinen, was zwar lächerlich und albern war und nun wirklich niemandem nutzte, was ich aber nicht verhindern konnte. „Er ist tot. In Andy Bellefleurs Auto.“
Sam legte den Arm fester um meinen Rücken und zog mich ganz dicht zu sich heran. „Arme Sookie!“ sagte er liebevoll. „Es tut mir so leid, daß du das sehen mußtest. Ich rufe die Polizei. Der arme Lafayette!“
Man braucht keine außergewöhnlichen kulinarischen Vorkenntnisse, wenn man im Merlottes kochen will, und die Köche wechseln recht häufig. Sams Speisekarte bietet eigentlich nur Fritten und Sandwiches. Lafayette hatte zu meiner Verwunderung länger bei uns ausgeharrt als die meisten anderen. Lafayette war schwul gewesen, schillernd schwul, strahlend schwul, ein Schwuler mit Make-up und irrsinnig langen Nägeln. Im nördlichen Louisiana sind die Menschen weniger tolerant als in New Orleans, und Lafayette wird es doppelt so schwer gehabt haben wie andere, denn er war noch dazu schwarz. Trotz seiner Probleme - oder vielleicht gerade deswegen - war mein Kollege immer
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