Unvergessen wie Dein Kuss
verschränkte die Arme.
“Wieso um alles in der Welt hast du das gedacht?”
“Wieso?” Isabella hielt einen Augenblick inne. Sie hatte ihn also vollkommen falsch eingeschätzt und sich dadurch beträchtlichen Schmerz zugefügt. Schließlich aber war sie nur durch sein Verhalten zu ihrem Urteil gekommen. Es war ihr so eindeutig erschienen.
“Ja, wo soll ich anfangen?”, sagte sie dann. “Als wir in London über sie sprachen, hast du sie mit Feuereifer verteidigt. Du hast mich beschuldigt, ihr Verhältnis zu ihrer Mutter zerstört zu haben. Du hast ihr mehr geglaubt als mir. Jedes Mal hast du erkennen lassen, wie sehr du sie noch immer liebtest.” Aufgewühlt starrte sie auf das Muster des Orientteppichs, ohne es richtig wahrzunehmen.
“Als du mir von dem Feuer erzähltest und ich erfuhr, dass du Indias Gemach nach ihrem Tod unangetastet ließest, was sollte ich da denken?” Die Worte brachen nur so aus ihr heraus. Sie fuhr fort: “Der Raum war wie ein Gedenkschrein für deine verstorbene Frau! Und ich wusste, dass ich …” Isabella hielt inne und schluckte sehr.
“Dass du … was?”
“Dass ich nie mit ihr konkurrieren könnte, dass du mich nie so lieben würdest wie sie, dass dein Herz für eine neue Liebe nicht frei war.” Isabella hielt atemlos inne und starrte ihn an. “Warum hast du mir nicht die Wahrheit über deine Gefühle für sie gesagt?”, fuhr sie fort. “Warum hast du alles behalten, was dich an India erinnern konnte? Und warum hast du ihr Gemach unangetastet gelassen, wenn nicht deshalb, weil es zu schmerzlich für dich war, sie noch einmal aufzugeben?”
Sein Blick bekam einen ernsten Ausdruck. “Es war wirklich zu schmerzlich”, antwortete er. “Aber nicht etwa, weil ich sie liebte, sondern weil ich mich schuldig fühlte.”
Sie musterte ihn ungläubig. “Schuldig? Weswegen schuldig?”
Er kam mit steifen Schritten zu ihr herüber und setzte sich in den Stuhl, der neben ihr stand. Sie waren nahe genug, um sich berühren zu können, aber sie taten es nicht. Die Anspannung war fast mit Händen zu greifen.
“Ich fühlte mich schuldig, weil ich sie nie lieben konnte”, antwortete er schlicht. “Ich wusste, dass ich sie nicht glücklich machte. Sie hatte etwas Besseres verdient.” Er blickte schnell auf, und Isabella erschrak über das, was sie in seinen Augen sah. “Ich hatte die falsche Cousine geheiratet”, wiederholte er, “und ich versuchte, sie zu dem zu machen, was ich wollte. Ich habe versucht, sie zu deinem Abbild zu machen. Während unserer ganzen Ehe lebte sie in deinem Schatten. Sie wusste es, und ich wusste es, aber wir haben nie darüber gesprochen.”
Isabella schüttelte den Kopf vor Bestürzung. “Ich dachte immer, dass
ich
diejenige sei, die mit der Unvergleichlichen würde leben müssen.”
Marcus verzog etwas das Gesicht. “Ich kann verstehen, dass du das denken konntest. Der Raum, die Bilder, alle ihre Sammlungen …”
“Und mehr als alles andere dein beharrliches Hochhalten ihres Gedächtnisses!” Isabella unterstrich ihre Aussage mit einer entsprechenden Geste. “War das auch Schuldbewusstsein, Marcus? Weil du ihr nicht hast geben können, was sie im Leben wollte, warst du fest dazu entschlossen, einen Ausgleich zu schaffen?”
Marcus stützte kurz den Kopf in die Hände und sah dann wieder auf. “Es war das Mindeste, was ich tun konnte”, sagte er niedergeschlagen. “Ich fühle mich für ihren Tod verantwortlich. Wenn ich nur bei ihr in London gewesen wäre … Aber ich verbrachte so wenig Zeit wie möglich mit ihr.”
Isabella fasste seine Hand. “Es tut mir alles sehr leid”, sagte sie mitfühlend.
Er blickte sie an. “Das braucht dir nicht leidzutun.”
“Vielleicht nicht.” Sie zögerte ein wenig. Dann fuhr sie fort: “Aber ich weiß, wie es ist, wenn man versucht, etwas Lohnendes aufzubauen und dann zu versagen. Obwohl”, sie lächelte leicht, “ich gestehen muss, dass ich das bei Ernest bald aufgegeben habe. Er war ein hoffnungsloser Fall.”
Marcus lächelte auch und drückte einen Kuss auf ihren Handrücken. “War es so schlimm, Isabella?”
“Oh, es war entsetzlich!”, antwortete sie, und ihr Lächeln schwand. “Wahrscheinlich war es aber für mich nicht so traurig, wie es für dich war, denke ich. Du musst gehofft haben, mit India glücklich zu werden, wohingegen ich von Anfang an wusste, dass ich eine Vernunftehe eingegangen war.”
Marcus rückte ein wenig hin und her, ließ ihre Hand aber nicht los.
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