Unvergessen wie Dein Kuss
war regungslos. Schließlich sagte sie: “Ich glaube, dass Freddie immer glaubte, dass er etwas für mich hätte tun sollen, um mir zu helfen, als ich … gezwungen wurde, Ernest zu heiraten. Er sprach nie direkt mit mir darüber, aber manchmal hat er etwas angedeutet, und ich denke, dass er immer unter einem Schuldgefühl litt.”
Marcus nickte nachdenklich. “Er war aber zu der Zeit nur wenig älter als du.”
“Er war achtzehn”, sage sie. “Er denkt jetzt, dass er sich bei unserem Vater hätte durchsetzen sollen.”
Einen Augenblick lang antwortete Marcus nicht. Schließlich sagte er: “Dein Bruder lehnte sich nicht gegen die willkürliche Entscheidung eures Vaters auf, dir diese Ehe aufzudrängen. Vermutlich bekam er so das Gefühl, seine Ehre verloren zu haben. Aber wenigstens hat er heute seine Selbstachtung wiedergewonnen.”
“Und was wird aus Edward Warwick?”, fragte sie.
Marcus seufzte. “Er wird auch durchkommen.”
Er glaubte in Isabellas Augen ein Aufflackern von Schmerz zu erkennen. “Du könntest ihn ja einfach gehen lassen”, sagte sie.
Er sah sie erstaunt an. “Bella, der Mann hat versucht, dich umzubringen!”
“Nun, so war es wohl nicht”, korrigierte sie ihn. “Er hat mich nur als Geisel benutzt, um damit seine Freiheit zu erkaufen.”
Marcus presste die Lippen aufeinander. Er würde niemals vergessen, was er empfunden hatte, als Warwick das Messer an ihre Kehle hielt. Er war drauf und dran gewesen, den Mann niederzuschießen. Nur Alistair, der ihn eindringlich an der Jacke festhielt, hatte ihn wieder zur Vernunft gebracht mit den geflüsterten Worten, dass er Isabella töten würde, wenn er nicht aufpasste und abwartete. Blinde Wut hatte von Marcus Besitz ergriffen, als er die dünne rote Linie an Isabellas Kehle sah, wo das Messer ihre Haut geritzt hatte. Aber die Wut wurde durch Angst gedämpft, eine Angst, die größer war als alles, was er zuvor empfunden hatte. Sie hätte verletzt oder gar getötet werden können.
Seine
Isabella …
“Der Mann ist ein gefährlicher Verbrecher”, sagte er mit heiserer Stimme. “Er hätte dich nie losgelassen, Bella. Er ist ein Mörder und Schwerverbrecher. Er muss hängen.”
Isabellas Wimpern zuckten. Er blickte in ihre ehrlichen blauen Augen und auf ihren verführerischen Mund und wollte sie an sich drücken.
“Ich verstehe ja”, sagte sie. Marcus merkte, wie ein Zittern durch ihren Körper ging. “Hast du gehört, worüber wir gesprochen haben?”
“Nein”, antwortete er. “Wir konnten nichts hören. Ich hatte immer die Hoffnung, dass du es mir sagen würdest. Und”, fügte er hinzu, “sag mir, was du überhaupt auf dem Dachboden gemacht hast.”
Er sah, wie sie die Decke um sich herum glatt strich und ihre Lippen zusammenpresste, als ob sie eine schwierige Aufgabe vor sich hätte.
“Ich ging hinauf, um mir ein Andenken an India auszusuchen”, sagte sie dann. Offenbar hatte er bei diesen Worten sehr erstaunt ausgesehen, denn sie fügte hinzu: “Ich habe Mitleid mit ihr. Wir haben uns nie nahegestanden, und ich bezweifle, dass wir das je hätten erreichen können, aber ich habe trotzdem Mitleid mit ihr.” Isabella hielt inne. Dann sagte sie: “Ich denke aber, dass wir einander Verständnis hätten entgegenbringen können.”
Marcus nickte. “Und Warwick?”
Sie seufzte. “Wir sprachen über seinen Sohn.” Sie presste die Hände aufeinander. “Ich weiß, dass du ihn nicht einfach gehen lassen kannst, Marcus. Aber der Mann hat jeden Tag gelitten. Er wird weiterhin leiden, weil er sein Kind nicht wird finden können, weil er nicht einmal weiß, ob es noch lebt. Ich verstehe ein wenig davon, was er empfinden muss.” Sie brach ab und senkte den Kopf.
Marcus spannte sich an. Aus ihrer Stimme war ein schmerzliches Mitleid herauszuhören, das durchaus eine Saite des Mitgefühls in ihm zum Klingen brachte, obwohl er dies gar nicht wollte.
“Was du dabei empfindest, kann ich teilweise verstehen”, sagte er langsam.
Ihre Augen hingen erwartungsvoll an seinem Gesicht.
“Wirklich?”
“Ja. Das heißt, als du mir von Indias Kind erzähltest, hatte ich ein gewisses Mitgefühl für Warwicks traurige Lage. Aber für den Mann selbst …” Er schüttelte den Kopf.
Im Kerzenlicht leuchteten Isabellas Augen sehr hell und blau. “Denkst du, dass wir das Kind jemals finden können?”
Marcus zögerte. Er wollte Isabella nicht weiter leiden sehen, aber wenn sie die Wahrheit jetzt nicht erfuhr, konnte er sich
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