Unvergessen wie Dein Kuss
durchfuhr sie ein Schauer von Angst. Solange Marcus im Gefängnis saß, war sie sicher. Wenn er in Freiheit wäre, wäre das allerdings etwas ganz anderes. Einen solchen Mann konnte man nicht beherrschen, dafür war er zu stark.
Sie blickte Trost suchend hinauf zur Sonne und sagte sich, dass es ganz ausgeschlossen war, dass er je wieder freikäme.
Ihre Schulden würden getilgt, ihr Erbanspruch würde anerkannt, und dann könnte sie die Auflösung der Ehe bezahlen. Sie hatte gar keinen Grund für ein Wiedersehen mit ihm.
Dennoch blieb eine unbestimmte Angst.
Marcus lag auf der Matratze in der leeren Zelle, die jetzt seine eigene war. Das Buch über Schiffsarchitektur lag zugeklappt neben seinem Ellbogen, und daneben stand eine fast noch volle Flasche Wein. Die Zelle war seit dem dämmrigen Morgen, als er sie betreten hatte, unverändert geblieben. Nichts deutete darauf hin, dass Isabella Di Cassilis jemals hier gewesen war und dadurch sein Leben verändert hatte. Es gab nichts, was an sie erinnerte, und doch war ihre Anwesenheit in der Luft zu spüren, die ihn umgab, sodass es unmöglich war, an etwas anderes zu denken.
Während der vergangenen zwölf Jahre hatte Marcus oft an Isabella gedacht. Aber er würde bestreiten, dass er ihr jemals nachgetrauert hätte. Ein Zucken von Bitterkeit und gleichzeitig Belustigung umspielte seinen Mund. Er war nicht jemand, der den Dingen nachhing, die hätten sein können. Aber während er immer geglaubt hatte, dass diese unglückliche jugendliche Affäre endgültig vorbei war, so erkannte er jetzt, dass das nicht der Fall war. Jetzt wusste er, dass er Isabella wollte – und auch eine Abrechnung.
Marcus rieb sich die Augen. Er hatte sich alle Mühe gegeben, Isabella aus seinen Gedanken und aus seinem Leben zu verbannen, aber er hatte die Nachrichten, die über sie kursierten, nicht gänzlich ignorieren können. Der Name ihres Mannes war der Inbegriff der Verworfenheit gewesen, besonders in seinen späteren Jahren, als er mit einer schamlosen Truppe, die ihm wie ein greller Kometenschweif folgte, quer durch Europa zog. Seine Frau nahm er dabei stets mit, und es war unvermeidlich, dass ihr Name infolge seiner Ausschweifungen ebenfalls ruiniert wurde. Marcus dachte an den vernichtenden Schlag, den ihr verstorbener Mann ihr zugefügt hatte. Zwanzigtausend Pfund war eine ungeheure Schuld, um jemand anders damit zu belasten, aber es war allgemein bekannt, dass der verantwortungslose Fürst Ernest sich um Ehre und Anstand genauso wenig kümmerte wie um seine Frau selbst. Und man konnte gut behaupten, dass es schließlich nur gerecht war, dass Isabella, die allein des Geldes wegen geheiratet hatte, als Witwe mit Schulden belastet war.
Marcus versuchte vergeblich, auf der harten Matratze eine bequemere Lage zu finden. Isabella hatte sich dafür entschieden, Fürst Ernest zu heiraten. Und nun musste sie die Folgen dieser Entscheidung tragen. Sie hatte Marcus rücksichtslos sitzen lassen, um einen vermögenden Mann mit Titel zu heiraten. Das war die schlichte Wahrheit. Marcus war dem betörenden Charme einer Abenteurerin erlegen.
Als er Isabella Di Cassilis nun erneut begegnet war, hatte er nichts für sie empfinden wollen. Er wollte sie nur ansehen, aber nichts fühlen, keine Liebe, keinen Hass und schon gar nicht Sehnsucht. Aber das war ihm gründlich misslungen. Nur wenige Augenblicke waren nötig, um ihm klarzumachen, dass er sie immer noch begehrte. Als sie unter dem Ansturm seiner Küsse erbebte, vergaß er die trostlose Atmosphäre des Fleet-Gefängnisses und verspürte den Drang, sie auf dem kalten Steinfußboden der Kapelle zu nehmen.
Nein, als gleichgültig konnte er sich nun wirklich nicht bezeichnen.
Marcus stand auf und ging zu dem kleinen Fenstergitter hinüber. Unerreichbare, verlockende Helle strömte herein und verhieß ihm all das, was er aufgegeben hatte – Licht und Freiheit und die Möglichkeit zu tun, was auch immer er wollte. Er war zu einem ganz bestimmten Zweck freiwillig in das Gefängnis gegangen. Isabellas Vermutungen über seine finanzielle Lage konnten gar nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Selbst wenn er ihre Schulden in dreifacher Höhe übernähme, hätte der Verlust praktisch gar keine Auswirkungen für ihn.
Er hielt inne und starrte auf das kleine helle Fensterquadrat. Was eigentlich wollte er von Isabella Di Cassilis? Sie hatte ihn aus keinem anderen Grund als den gewählt, dass er einen passenden Ehemann abgab, genauso wie sie Jahre
Weitere Kostenlose Bücher