Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
nicht länger, machte auf dem Absatz kehrt und schnappte sich ihren Handkoffer und die Hutschachtel. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie den Regen, der vor dem Fenster wie ein Vorhang fiel. Der Donner grummelte, und die Bäume bogen sich im Wind. Blitze zuckten am Himmel.
Sie konnte nicht in den Sturm hinaus. Es würde nur ein paar Sekunden dauern, ehe sie bis auf die Knochen durchnässt wäre. Und doch blieb ihr nichts anderes übrig. Die Madame war bereits in die Küche verschwunden, und sonst war niemand da, den sie um Hilfe hätte bitten können. Außerdem waren die Männer, um die sie sich gekümmert hatte, noch immer da draußen und lagen hilflos in diesem Wolkenbruch. Sie musste zurück und ihnen helfen.
Sie balancierte gerade ihre Habseligkeiten auf einem Arm und wollte mit der anderen Hand die Tür öffnen, als diese aufgestoßen wurde. Bevor Olivia etwas tun konnte, kam Gervaise herein.
Er war vollkommen nass. Sein Regenschirm war im Wind umgeklappt. Dennoch wirkte er perfekt, makellos. Der Regen glitzerte in seinem Haar. Und er lächelte.
Olivia verabscheute dieses Lächeln, denn sie war offenbar die Einzige, die hinter diese Maske sehen konnte.
»Ausgezeichnet«, sagte er fröhlich, als er die Tür hinter sich schloss und seinen Regenschirm an die Wand lehnte. »Du hast auf mich gewartet.«
Olivia rang das Entsetzen nieder, das sie bei diesen Worten durchströmte. »Das habe ich nicht. Ich war auf dem Weg ins Lazarett.«
Gervaise warf einen wohlüberlegten Blick aus dem Fenster. »Bei dem Wetter? Das glaube ich nicht.«
»Selbst wenn das Jüngste Gericht bevorstände, würde ich jetzt verschwinden. Geh mir aus dem Weg, Gervaise.«
Stattdessen kam er ihr näher, bis Olivia den Tabak riechen konnte, den er benutzte, und sein Eau de Cologne, das so erdig-holzig duftete. Bei den unterschiedlichen Düften drehte sich ihr der Magen um.
Sie hätte es wissen müssen. In dem Moment, als sie ihn erkannt hatte, hätte sie es wissen und weglaufen müssen.
Er ließ seinen Blick über den Ausschnitt ihres Kleides gleiten. »Trägst du es noch immer, Livvie?«
Es kostete sie all ihre Kraft, die Hand zu heben und schützend auf ihre Brust zu legen, wo das Medaillon unter ihrem Kleid versteckt war.
Er lächelte. »Hilft es wirklich?«
Panik erfasste sie, ein heißer Drang zu fliehen, bei dem ihr der Schweiß ausbrach. Bitte, lieber Gott – mach, dass er es nicht herausfindet.
» Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, flüsterte sie.
Er nickte. »Er war ein hübscher Junge. Es ist so traurig, dass du ihn nicht beschützen konntest.«
Eine weitere versteckte Drohung. Ein Bezug auf das, was er getan hatte. Was er wieder tun würde, sollte es nötig werden.
»Das ist noch eine Sache, die ich an dir liebe, Livvie«, sagte er, als würde er es tatsächlich so meinen. »Deine fürsorglichen Instinkte. Ich hätte helfen können, weißt du? Meinst du nicht, dass ich es jetzt auch könnte?«
Sie dachte, er würde sie zerstören, wie er es schon einmal getan hatte.
Er hob die Hand und strich mit einem Finger über ihre Wange. »Du bist so tapfer, Livvie«, sagte er. Seine Stimme klang sanft und vertrauenerweckend. »Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin. So weit zu gehen, die Begleitdame einer der widerlichsten Neureichen zu werden, die ich je kennenlernen musste.« Er warf ihr ein bösartiges Lächeln zu. »Sie war aux anges, im siebten Himmel, als ich ihr zufällig im Parc Royale begegnete und anbot, ihr bei der Flucht aus der Stadt zu helfen. Sie war so dankbar, dass sie nicht auf die Idee kam, darüber nachzudenken, warum ich behauptete, dich nicht mitnehmen zu können.«
Olivia zitterte, und das machte sie wütend. Bewusst trat sie einen Schritt zurück. »Hast du meinen Pompadour?«
»Ich dachte, wenn du Geld hättest, wärst du vielleicht versucht, eine falsche Entscheidung zu treffen. Ich bin deine einzige Chance, Livvie. Dieses Mal ist es nicht so wie sonst, wenn du deine Stellung verloren hast, weil du bloßgestellt worden bist. Dieses Mal bist du Hunderte von Meilen von zu Hause entfernt und hast keine Möglichkeit zurückzugelangen. Und selbst wenn du zurückkehren könntest, würdest du niemanden finden, der dir hilft. Ganz sicher nicht deine Familie. Und was deine Freunde hier betrifft – sie werden sich von dir abwenden, wenn sie erfahren, wer du wirklich bist.«
Sie wusste, dass er sie zum Weinen bringen wollte. Zum Flehen. Sie hielt still.
»Du weißt, dass ich dich liebe,
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