Unverhofft kommt oft
Gesicht haben willst“, sagte Sofia bemüht ruhig. Das ging echt zu weit.
Roberta sah sie an. Sie öffnete den Mund, um noch etwas hinzuzufügen, ließ es dann aber und schloss ihn wieder. Sie drehte sich auf dem Absatz und ging.
Sofia, noch immer völlig perplex, was da gerade aus ihrer immer schüchternen und zurückhaltenden Cousine gesprudelt war, und auch darüber, dass genau diese Cousine mit jemandem wie Julian zusammen gewesen war, schloss die Tür. Sie musste ein paarmal tief ein-und ausatmen, bevor sie sich ins Wohnzimmer wagte.
„Es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung“, entschuldigte sie sich bei Julian.
Er nickte, lächelte aber schon wieder. „Ist schon vergeben. Ich hätte vielleicht etwas erwähnen sollen, aber woher sollte ich wissen, dass sie hier sein würde?“
„Ach, Mist, es ist alles meine Schuld.“
Jenni sah von einem zum anderen und beschloss dann, die Lasagne aus dem Ofen zu holen, bevor sie noch verbrannte.
Sie aßen schweigend. Irgendwann fragte Julian nach Francesco und seinem Gesundheitszustand.
„Ich war gestern Abend bei ihm, es geht ihm schon viel besser. Die Ärzte sagen, er darf morgen schon das Krankenhaus verlassen. Er muss sich natürlich noch ein paar Wochen ausruhen, dann kann aber alles wieder seinen gewohnten Gang gehen.“
„Ich hoffe sehr, dass er sich in Zukunft etwas zurücknehmen wird.“
„Ja, das hoffe ich auch. Vielleicht sollte er eine Kraft mehr für vorne im Laden einstellen, die ihn ein wenig entlastet.“
„Oder du fängst einfach auf Dauer dort an.“
Sofia verschluckte sich fast an dem geschmolzenen Käse. „Ich? Nein, danke. Das ist nun wirklich nichts für mich. Ich muss doch malen.“
„Ja, genau, die große Künstlerin. Ich bin schon sehr gespannt auf deine Werke.“
Er lächelte wieder dieses unwahrscheinlich charmante Lächeln. Ja, Julian fing an, ihr zu gefallen. Eine blonde Locke fiel ihm in die Stirn und Sofia hätte sie ihm nur allzu gern aus dem Gesicht gestrichen, doch dann dachte sie daran, dass er was mit Roberta gehabt hatte. Da musste sie erst noch mal genauer nachhaken, bevor sie sich wilde Szenarien mit diesem Leckerchen vorstellte.
♥
Nach dem Essen entführte Sofia Julian in ihr Zimmer/Atelier und ihre ganz eigene Welt. Er schien sichtlich überrascht von ihren Bildern. Er hatte scheinbar anderes erwartet.
„Ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt. Deine Bilder sind unglaublich, sie sagen so viel aus.“
Er betrachtete ein Kohleportrait, das sie an einem Sommertag im Hinterhof gezeichnet hatte – eine alte Nachbarin, die sicher schon um die neunzig war. Ihre tiefen Falten spiegelten ihre Weisheit und vergangene Schönheit wider.
„Ich würde sehr gerne einige deiner Werke in der Galerie aushängen.“
Im ersten Moment freute sich Sofia ungemein, doch im zweiten dachte sie wieder an Roberta und daran, was sie ihr an den Kopf geworfen hatte. Wenn sie jetzt auch noch Geschäfte mit ihrem Verflossenen machte, hätte sie es sich bestimmt für immer mit ihr verdorben.
„Was genau war mit dir und Roberta?“, fragte sie und Julian sah sie überrascht an. Mit dieser Frage hatte er jetzt wohl nicht gerechnet.
„Ich dachte, du würdest über Preise sprechen wollen oder Konditionen, was hat denn Roberta damit zu tun?“
„Sie ist immerhin meine Cousine. Und vorhin schien sie ganz schön mitgenommen. Ich würde schon gern wissen, was das für ein Mensch ist, mit dem ich gedenke, Geschäfte zu machen.“
Er grinste. „Nun ja, als Erstes möchte ich dir einmal sagen, dass ich Privates und Geschäftliches immer auseinanderhalte. Ich bin sehr professionell, was die Arbeit und meine Leidenschaft angeht. Was Roberta angeht, wir haben es miteinander versucht und sind gescheitert, mehr gibt es da nicht zu wissen. Es hat nicht sollen sein.“
„Wer hat Schluss gemacht? Du oder sie?“
„Sie.“
„Und warum?“
„Das ist unwichtig. Wenn du willst, kannst du sie aber gern fragen.“
„Das werde ich vielleicht machen.“
„Gut.“ Er sah sie eindringlich an.
„Gut.“
Sie musste den Blick abwenden und wusste nicht warum. Was war das für ein Mann, der hier vor ihr stand, der mit ihrer biederen Cousine zusammen gewesen war, der aber so etwas Anziehendes hatte, dass sie nicht wusste, ob sie vor ihm weglaufen oder ihm in die Arme fallen sollte? Und vor allem, was bewirkte, dass sie sich plötzlich in seiner Gegenwart so unbeholfen vorkam? Schnell schüttelte sie dieses Gefühl
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