Unwiderstehlich untot
griff danach. Sehen konnte ich sie nicht, aber das spielte auch keine Rolle, denn ich hätte ohnehin nicht gewusst, was sie enthielten. Ich blickte über die Schulter, und als der Kopf des Magiers hinter dem Fass erschien, warf ich die beiden Dinger.
Die erste Phiole zerbrach an seinem Schild, und heraus kam ein trockenes orangefarbenes Pulver, das überhaupt keine Wirkung zu haben schien. Doch der Inhalt der zweiten Ampulle, eine blaue Flüssigkeit, fraß ein Stück vom Schild. Ich setzte die Suche nach weiteren Phiolen fort, während Agnes abwechselnd schoss und Objekte warf. Ein Schemel, eine abgebrannte Fackel und eine tote Ratte flogen an mir vorbei und knallten gegen den Schild des Magiers.
Ich zuckte vor der Ratte zurück, und dann sah ich sie: noch eine blaue Ampulle, neben einem Fass. Ich kroch umständlich, krabbelte über den schmutzigen Boden und bekam die Phiole schließlich zu fassen. Diesmal wartete ich nicht, bis der Magier erneut übers Fass spähte – ich warf das Fläschchen einfach darüber hinweg.
Wenigstens dieses eine Mal hatte ich gut gezielt. Der Mann schrie und kam hinter dem Fass hervor, als stünde er in Flammen. Er rannte an mir vorbei, hinterließ Funken und… 0 Mist. »Er brennt!«, rief ich.
Agnes brachte ihn zu Fall, und er landete direkt vor der Tür auf dem Boden. Sie setzte sich auf seinen Hintern und hielt ihm die Waffe an den Kopf. Er sackte in sich zusammen.
»Hier ist der versprochene Tipp«, schnaufte sie und klopfte die Flammen auf dem Rücken des Magiers aus. »Du bist Hellseherin. Mach Gebrauch von deiner Fähigkeit.«
Ich wartete einige Sekunden, aber Agnes fügte ihren Worten nichts hinzu. »Das ist alles? Das ist dein großer Tipp?«
»Was hast du erwartet?«
»Etwas anderes! Mehr! Es muss doch… ich weiß nicht, irgendeinen Trick geben!«
»Du bist der Trick«, sagte Agnes und fand die Handschellen de, Magiers. »Warum werden wohl Hellseherinnen für das Amt der Pythia ausgewählt? Wenn jeder dazu imstande wäre, würden diese Blödmänner nicht immer so viel Mist bauen, wenn sie versuchen, irgendetwas zu ›verbessern‹. Sie sehen nicht, welche Auswirkungen sich durch ihr Eingreifen ergeben; sie müssen raten. Wir hingegen wissen Bescheid.«
Kopfschmerzen begannen hinter meinen Augen. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich bisher gehofft hatte, dass Agnes mir helfen konnte; ich begriff es erst durch ihre Ablehnung. »Vielleicht weißt du Bescheid«, erwiderte ich. »So funktioniert mein Talent nicht. Manchmal funktioniert es gar nicht!«
»Vielleicht musst du etwas mehr üben. Und um eine frühere Frage von dir zu beantworten: Wenn man mit dem Zeitstrom herumspielt, schafft man meistens mehr Probleme als man löst. Glaub mir.«
»Und damit hat es sich?«, fragte ich wütend. »Mehr hast du nicht für mich? Nur den Rat, nicht mit der Zeit herumzuspielen und mein Talent zu nutzen?«
»Mehr brauchst du nicht.« Agnes zog dem Magier die Hände auf den Rücken und ließ die Handschellen zuschnappen. Dann sah sie zu mir auf, und zum ersten Mal bemerkte ich in ihrem Blick so etwas wie Anteilnahme. »Deine Macht arbeitet mit deiner natürlichen Fähigkeit und bildet sie – und dich – im Lauf der Zeit aus. Schließlich wirst du lernen, was du wissen musst.«
»Wenn es so einfach wäre, würdest du nicht Jahrzehnte damit verbringen, eine Nachfolgerin auszubilden!«, sagte ich schnell, bevor sie mit einem Zeitsprung verschwinden konnte.
»Ich habe nie gesagt, dass es einfach ist. Nichts an diesem Job ist einfach. Ich habe gesagt, dass du lernen wirst.«
»Und wenn ich nicht lange genug am Leben bleibe?«, schrie ich, aber Agnes war bereits weg.
3
Als ich im Dante’s in Las Vegas eintraf, einem der Hölle nachempfundenen Spielkasino, das mir derzeit als Versteck diente, war ich müde, schmutzig und sauer. Das Schlimmste war: Die ganzen Anstrengungen hatten mir überhaupt nichts genützt. Ich mochte die Chefhellseherin der Welt sein, aber meine Macht schien davon nichts zu wissen. Sie kam und ging wie Ebbe und Flut, aber nicht mit der gleichen Pünktlichkeit wie die Meeresgezeiten. Es bedeutete, dass ich keine Visionen haben konnte, wenn ich wollte. So stark war ich nicht.
Das Penthouse war trotz des grässlichen Kasino-Mottos schick, im zeitgenössischen skandinavischen Stil, präsentierte sanfte Blau und Grautöne, die ich normalerweise beruhigend fand. An diesem Tag klappte es mit der beruhigenden Wirkung nicht so richtig, erst recht nicht, als ich
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