Unwiederbringlich
vielleicht Wandel schaffen könnte, hält es für klug, die Dinge ruhig weitergehen zu lassen. Die Schimmelmann ist nach wie vor würdig und wohlwollend, an Charakter ein Schatz, aber ein wenig bedrückend. An Stelle der Gräfin Frijs, die, während der letzten zehn Jahre, der Liebling der Prinzessin war, ist ein Fräulein von Rosenberg getreten. Ihre Mutter war eine Wrangel. Diese Rosenbergs stammen aus dem westpreußischen Städtchen Filehne, wurden erst unter Gustav III. baronisiert und haben keine Verwandtschaft weder mit den böhmischen noch mit den schlesischen Rosenbergs. Das Fräulein selbst – nur immer der älteste Sohn führt den Baronstitel – ist klug und espritvoll und beherrscht die Prinzessin, soweit sich Prinzessinnen beherrschen lassen. Unzweifelhaft, und dafür haben wir ihr alle zu danken, hat sie dem kleinen Nebenhof im Prinzessinnen-Palais den Charakter der Langenweile genommen, der früher der vorherrschende war. Ich konnte mich gestern, wo ich Dienst hatte, von diesem Wandel der Dinge überzeugen, mehr noch vorgestern, wo wir eine Wagenpartie nach Klampenborg und der Eremitage machten. Es war ein wundervoller Tag, und als bei Sonnenuntergang an die zweitausend Hirsche geschwaderweise bei uns vorbeidefilierten – ein Schauspiel, von dem ich oft gehört, aber das ich nie gesehen habe –, schlug mir das Herz vor Entzücken, und ich wünschte Dich und die Kinder herbei, um Zeuge davon sein zu können. Es verlangt mich übrigens lebhaft, von Euch zu hören. Was hast Du hinsichtlich der Pensionen beschlossen? Ich habe Dir gern und voll Vertrauen freie Hand gelassen, aber ich hoffe, Du wirst nichts übereilen. Das Hinaussenden der Kinder in die Welt hat seine Vorzüge, das soll unbestritten bleiben, aber das Beste bleibt doch das, was die Familie bietet, das elterliche Haus. Und wenn eine Hand wie die Deine das Haus bestellt, so verdoppelt sich nur die Wahrheit dieses Satzes. Grüße die Dobschütz und Alfred, wenn er von Arnewiek herüberkommt, was hoffentlich recht oft geschieht; denn ich weiß, Du liebst ihn, und ebenso weiß ich, wie sehr er diese Liebe verdient. Wenn Asta bei Petersens vorspricht, laß sie dem Alten meine Grüße bringen und ihm wie der Enkelin alles mögliche Freundliche sagen. Strehlke soll Axel nicht mit Mathematik und Algebra quälen, aber den Charakter soll er bilden. Leider hat er selber keinen, ein so guter Kerl er im übrigen ist. Freilich, wer hat Charakter? Es ist nicht jedem so gut geworden wie Dir, Du hast das, was den meisten fehlt; aber wenn mich nicht alles täuscht, erfüllt Dich selber mitunter der leise Wunsch, etwas weniger von dem zu haben, was Dich auszeichnet. Irr ich darin? Laß bald von Dir und den Kindern hören und, wenn es sein kann, Erfreuliches.
Dein Helmuth H.«
Und nun legte er die Feder aus der Hand und überflog das Geschriebene noch einmal. Einiges mit Zufriedenheit. Als er aber gegen das Ende hin die Worte las: »das Beste bleibt doch immer das elterliche Haus«... und dann: »wenn eine Hand wie die Deine dies Haus bestellt«..., da überkam ihn eine leise Rührung, von der er sich kaum Ursach und Rechenschaft zu gehen vermochte. Hätt er es gekonnt, so hätt er gewußt, daß ihn sein guter Engel warne.
Sechzehntes Kapitel
Holk gab den Brief selbst zur Post, dann ging er zu Pentz, der ihn in seine Wohnung zum Frühstück geladen hatte. Von den Ministern war niemand da, auch Hall nicht, trotzdem er zugesagt hatte, wohl aber Reichstagsmitglieder und Militärs: General Bülow, Oberst du Plat, Oberstlieutenant Tersling, Kapitän Lundbye, selbstverständlich Worsaae, der als Esprit fort und Anekdotenerzähler nicht fehlen durfte. Tersling hatte seinen guten Tag, Worsaae auch, was bei den Schraubereien, in denen man sich gefiel, am besten zutage trat; aber so vergnüglich diese Kämpfe waren, so sah sich doch gerade Holk nur mäßig dadurch unterhalten, teils weil ihm, als einem Nicht-Kopenhagener, manches von den Pointen entging, teils weil er Fragen auf dem Herzen hatte, die zu stellen sich bei dem beständigen Wortgefecht der beiden humoristischen Gegner keine rechte Gelegenheit für ihn bieten wollte. Denn Pentz war ganz Ohr und hörte nur auf die gegenseitigen Sticheleien. Das Frühstück, wie jedes gute Frühstück, dauerte bis Abend. Als es beendet war, gingen etliche von den Jüngeren noch nach Tivoli hinaus, um einem letzten Operettenakt beizuwohnen; Holk aber, an großstädtisches Leben nicht gewöhnt und immer
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