Unwiederbringlich
beflissen, sich in beinah philiströser Weise bei guter Gesundheit zu halten, begleitete Bülow und du Plat bis an das Kriegsministerium und ging dann auf seine Wohnung zu. Die ältere Frau Hansen empfing ihn aufmerksam und artig wie immer, fragte nach seinen Befehlen und brachte den Tee. Das Gespräch, das sie dabei führte, war nur kurz, und alles, was sie sagte, lag heute nach der gefühlvollen Seite hin: ihrer Tochter Brigitte sei nicht recht wohl, und wenn sie dann bedenke, daß die arme junge Frau, denn sie sei doch eigentlich noch jung und der Mann schon im siebenten Monat fort und käm auch noch lange nicht wieder zurück, ja, wenn sie das alles so bedenke, und daß Brigitte doch ernstlich krank werden und aus dieser Zeitlichkeit scheiden könne, da wolle sie doch lieber gleich selber sterben. »Und was ist es denn auch am Ende? Wenn man fünfzig ist und Witwe dazu, ja, Herr Graf« (und sie trocknete sich eine Träne), »was hat man da noch vom Leben? Je früher es kommt, desto besser. Armut ist nicht das schlimmste, schlimmer ist Einsamkeit, immer einsam und ohne Liebe...« Holk, den diese Sentimentalität amüsierte, bestätigte selbstverständlich alles. »Jawohl, liebe Frau Hansen, es ist ganz so, wie Sie sagen. Aber Sie dürfen es nicht so schwernehmen. Ein bißchen Liebe findet sich immer noch.«
Sie sah ihn von der Seite her an und freute sich seines Verständnisses.
Am anderen Tage war Holk wieder in Dienst, was am Hofe der Prinzessin nicht viel besagen wollte. Die fast Siebzigjährige, die – darin noch ganz das Kind des vorigen Jahrhunderts – immer spät zur Ruhe ging und noch später aufstand, erschien nie vor Mittag in ihren Empfangsräumen; die Kammerherren vom Dienst hatten also bis dahin nichts anderes zu tun, als im Vorzimmer zu warten. Da wurden denn Zeitungen gelesen, auch wohl Briefe geschrieben, und wenn, lange vor Sichtbarwerden der Prinzessin, der Kammerdiener ein gut arrangiertes Frühstück brachte, so rückte Pentz in die tiefe, mit einem kleinen Diwan in Hufeisenform halb ausgefüllte Fensternische, wo sich dann Holk oder Erichsen ihm gesellte. So war es auch heute, und als man von dem Sherry genippt und Pentz ein sehr anerkennendes Wort über die Sardinen geäußert hatte, sagte Holk: »Ja, vorzüglich. Und doch, lieber Pentz, ich möchte heute, wenn es geht, etwas anderes von Ihnen hören als Kulinarisches oder Frühstückliches. Ich hatte mir schon gestern ein paar Fragen an Sie vorgenommen, aber die beiden Kampfhähne nahmen Sie ja ganz in Anspruch. Worsaae war übrigens wirklich sehr amüsant. Und dann mußt ich mir auch sagen, wer so glänzender Wirt ist wie Sie, der ist eben Wirt und nichts weiter und hat nicht Zeit zu Privatgesprächen in einer verschwiegenen Ecke.«
»Sehr liebenswürdig, lieber Holk. Ich habe mich nicht recht um Sie gekümmert, und anstatt mir einen Vorwurf daraus zu machen, machen Sie mir Elogen über meine Wirklichkeit. Übrigens muß ich Ihnen bekennen, wenn ich gestern um ein Privatgespräch mit Ihnen, und noch dazu, wenn ich recht gehört, ›um ein Privatgespräch in einer verschwiegenen Ecke‹ gekommen bin, so verwünsche ich alle Repräsentationstugenden, die Sie mir gütigst zudiktieren. ›In einer verschwiegenen Ecke‹ – da darf man etwas erwarten, was jenseits des Gewöhnlichen liegt.«
»Ich bin darüber doch selbst im Zweifel. Auf den ersten Blick ist es jedenfalls was sehr Gewöhnliches und betrifft ein Thema, das schon gleich am ersten Abend zwischen uns verhandelt wurde. Hab ich dann aber wieder gegenwärtig, wie sich alles in der Sache so mysteriös verschleiert, so hört es doch auch wieder auf, was Alltägliches und Triviales zu sein. Kurzum, ich weiß selber nicht recht, wie's steht, ausgenommen, daß ich neugierig bin, und nun sagen Sie mir, was ist es mit den zwei Frauen, Mutter und Tochter?«
Pentz verstand entweder wirklich nicht oder gab sich doch das Ansehen davon, weshalb Holk fortfuhr: »Ich meine natürlich die beiden Hansens. Eigentlich, auch ganz abgesehen von dem, was Sie mir schon erzählt haben, sollt ich darüber so gut unterrichtet sein wie Sie selbst; denn beide Frauen sind schleswigsches Gewächs, ich glaub aus Husum gebürtig und dann später in Glücksburg, und bei der Mutter, wie Sie ja wissen, hab ich auch schon gewohnt, als ich das letzte Mal hier war und meinen Dienst tat. Aber ich muß damals schlecht beobachtet haben, oder die Tochter, die jetzt da ist, hat dem Hausstand ein anderes Wesen gegeben.
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