Unwiederbringlich
auch Brigitte mit dem Frühstück und wartete, daß Holk ein Gespräch beginnen solle, zu welchem Zwecke sie das Teegeschirr nicht nur sehr langsam aufbaute, sondern sich, was sie sonst nicht leicht tat, sogar zu direkten Fragen bequemte. Holk aber blieb diesmal unzugänglich, antwortete nur ganz kurz und gab überhaupt durch seine ganze Haltung zu verstehen, daß er es vorziehen würde, allein zu sein, was alles die schöne Frau Hansen nicht nur aufs äußerste verwunderte, sondern ihre Gefühle für das schwedische Fräulein, das natürlich daran schuld sein mußte, noch tiefer herabstimmte. Nichts davon entging Holk; weil er aber schon aus Klugheit die schöne Brigitte nicht in schlechte Laune bringen mochte, so bat er sie, seine Zerstreutheit entschuldigen zu wollen und zu bedenken, daß er noch ganz unter dem Eindrucke all des Schrecklichen sei, was er erlebt habe.
»Ja«, sagte die Hansen, »schrecklich; es muß wirklich schrecklich gewesen sein, und dazu die Verantwortung und helfen sollen und nicht können. Und so vor aller Augen und vielleicht in einem ganz leichten Kleide... wenn es ein Kleid war.«
Sie sagte das alles mit dem ernstesten Gesichtsausdruck und in einem so glücklichen Rührtone, daß Holk, als sie das Zimmer verließ, doch wieder in Zweifel war, ob er es durchaus für Bosheit und perfide Komödie halten müsse. Vielleicht mischte sich doch auch was von wirklicher Teilnahme mit ein; es heißt ja, Personen der Art seien immer gutmütig. Gleichviel indes, er war nicht in der Lage, dem nachzuhängen, und kaum daß er wieder allein war, so war er auch schon wieder unter dem Ansturm all der Bilder und Vorstellungen, die das Erscheinen Brigittens nur unterbrochen hatte. Noch war kein voller Tag um, daß man die Partie nach dem kleinen Gasthaus am Arre-See hin unternommen, und was war seitdem alles geschehen! Erst die Schlittschuhfahrt mit Ebba ganz dicht an dem abgebröckelten und durchlöcherten Eise hin und danach die Heimfahrt und die kleinen Neckereien und dann Ebbas Übermut bei Tisch... und dann, wie Karin kam und die Flammen aus Wand und Diele schlugen und wie sie zuletzt hinaustraten auf das Schloßdach, unter sich Tod und Verderben, und wie dieses Hinaustreten ihnen doch die Rettung bedeutet hatte.
»Ja, die Rettung«, sprach er vor sich hin. »Alles hängt an einem Haar; so war es diesmal, und so ist es immer. Was hat uns gerettet? Daß wir gleich am ersten Tage, an den Teichen und Pavillons vorüber, einen Spaziergang bis an die Parkfähre machten und daß an demselben Tage die Sonne schien und daß mein Blick auf das hellerleuchtete Schloß fiel und daß ich, weil alles so hell und klar dalag, in aller Deutlichkeit sehen konnte, wie das Fußende des Turmdaches mit dem Fußende des Schloßdaches zusammenlief. Ja, das hat uns gerettet. Ein Zufall, wenn es einen Zufall gibt. Aber es gibt keinen Zufall, es hat so sein sollen, eine höhere Hand hat es so gefügt. Und daran muß ich mich aufrichten, und daran hab ich auch eine Anlehne für das, was ich noch vorhabe. Wenn wir in Not und Zweifel gestellt werden, da warten wir auf ein Zeichen, um ihm zu entnehmen, was das Rechte sei. Und solch Zeichen habe ich nun darin, daß eine höhere Hand uns aus der Gefahr hinausführte. Wäre der Weg, den mein Herz all diese Zeit ging, ein falscher gewesen, so hätte mich die Strafe getroffen, mich und Ebba, und wir wären ohnmächtig zusammengesunken und erstickt und hätten uns nicht in die Luft und Freiheit hinaus gerettet. Und Christine selbst, wenn ich ihre letzten Zeilen richtig verstanden habe, Christine selbst hat ein Gefühl davon, daß es so das beste sei. Die guten Tage sollen nicht vergessen sein, nein, nein, und eine dankbare Erinnerung soll der Trennung alles Bittere nehmen; aber die Trennung selbst ist nötig, und ich darf wohl hinzusetzen, ist Pflicht, weil wir uns innerlich fremd geworden sind. Ach, all diese Herbheiten. Ich sehne mich nach einem anderen Leben, nach Tagen, die nicht mit Traktätchen anfangen und ebenso aufhören; ich will kein Harmonium im Hause, sondern Harmonie, heitere Übereinstimmung der Seelen, Luft, Licht, Freiheit. Das alles will ich und hab es gewollt vom ersten Tage an, daß ich hier bin. Und ich habe nun ein Zeichen, daß ich es darf.«
Er brach ab, aber nur auf Augenblicke, dann war er wieder am alten Fleck. In einem Kreise drehten sich all seine Vorstellungen, und das Ziel blieb dasselbe: Beschwichtigung einer inneren Stimme, die nicht schweigen wollte.
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