Unwiederbringlich
zweierlei verordnet: eine Medizin und eine Pflegerin für die Nacht. Denn das Fräulein fiebere wieder stark, und sei nicht zu verwundern nach solcher Gefahr und nach allem...« Die letzten Worte setzte Karin nur halblaut und wie von ungefähr hinzu, weil sie sich nicht versagen mochte, Holk ihre Gedanken erraten zu lassen.
Holk sah seine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Er hatte gehofft, in einer einzigen Stunde sein Schicksal entschieden zu sehen, und nun Hindernis über Hindernis. Ebba krank, die Prinzessin krank. Ebbas war er in seinem Gemüte sicher, Ebba also – das mochte gehen; aber die Prinzessin! Er wußte nicht, wie die Stunden, Stunden, aus denen Tage werden konnten, hinzubringen seien, und wenn er dann im Fluge durchnahm, was in dem lebenslustigen und zerstreuungsreichen Kopenhagen als Zeitvertreib zu gelten pflegte, so erschrak er, wie sehr ihm alle diese Dinge widerstanden. Alhambra und Tivoli, Harlekin und Colombine, Thorwaldsen-Museum und Klampenborg, alles, die schöne Frau Brigitte mit eingerechnet, hatte gleichmäßig seinen Reiz für ihn verloren, und wenn er gar an Pentz dachte, befiel ihn ein Grauen. Das war das letzte, was er aushalten konnte; lieber wollte er die Nichtigkeiten Erichsens und die Steifheiten der Schimmelmann ertragen als die Pentzschen Bonmots und Wortspiele.
Die Nacht verging ihm unter Kopfdruck und wenig Schlaf, woran Erkältung und Aufregung gleichen Anteil haben mochten, und er war froh, als die Morgensonne drüben die Dächer rötete. Das Frühstück kam und die Zeitungen und mit den Zeitungen ausführliche Schilderungen über den Frederiksborger Schloßbrand. Er las alles, erheiterte sich und vergaß beinahe, was ihn quälte, wenigstens solange die Lektüre dauerte. Die wirklichen Hergänge waren sehr zu seinen Gunsten ausgeschmückt; er habe sich, so hieß es in zwei fast gleichlautenden Berichten, an dem Blitzableiter herablassen wollen, um dann, unten angekommen, Hülfe für das unglückliche Fräulein herbeizuschaffen; als er aber in die Feuerregion des brennenden Turmes gekommen sei, habe sich ein weiteres Hinabgleiten an der nach unten zu schon halb glühend gewordenen Eisenstange verboten, und er sei wieder mit ebensoviel Mut und Kraft wie Geschicklichkeit hinaufgeklettert. Er las dies und sagte sich, daß er nach dem allen notwendig der Held des Tages sein müsse. Der Held! Und wie wenig heldisch war ihm zumute. Er fühlte, daß seine Nerven zu versagen drohten und daß er in Krankheit oder geistige Störung fallen würde, wenn es ihm nicht gelänge, das, was er gestern vergeblich in die rechten Wege zu leiten gesucht hatte, noch heute zum Abschluß zu bringen. Daß Ebba wieder gesund sein werde, war nicht anzunehmen; aber doch die Prinzessin, was auch eigentlich wichtiger war. Alles, was sie seit vorgestern durchzumachen gehabt hatte, war doch nur etwas vergleichsweise Geringes gewesen, und wenn sie, wie sehr wahrscheinlich, wieder außer Bett war, so mußte sie ihn hören und über ihn entscheiden. »Und über mich entscheiden, das heißt mein Glück besiegeln, denn sie ist gütig und in ihren Anschauungen unbeengt.«
Ja, so sollte es sein, und um zehn Uhr war er auch schon wieder im Palais, wo er zu seiner unendlichen Freude vernahm, daß die Prinzessin eine leidlich gute Nacht gehabt habe. Durch eben dieselbe Kammerfrau, mit der er schon gestern gesprochen, ließ er anfragen, ob Königliche Hoheit seine Gegenwart zu befehlen geruhe. Und gleich danach trat er bei ihr ein, denn sie hatte ihn wissen lassen, sie wünsche dringend, ihn zu sprechen.
Das Zimmer war dasselbe, darin er, gleich am Tage nach seiner Ankunft, seine erste Audienz bei der Prinzessin gehabt hatte. Da hing noch das große Bild König Christians VIII. und gerade gegenüber das des verstorbenen Landgrafen, der Flor um den Rahmen noch grauer und verstaubter als damals. Auf dem Sofa, unter dem Bilde des Königs, saß die alte Dame, verfallen und zusammengeduckt, von Prinzessin nicht viel und von Esprit fort keine Spur. Es war ersichtlich, daß sie – wenn auch von ihrer eigentlichen Krankheit so gut wie genesen – den Schreck und die Aufregung der letzten Frederiksborger Stunden noch keineswegs überwunden hatte. Jede Spannkraft fehlte, das Auge war matt und müde.
»Das war eine schlimme Nacht, lieber Holk. Sie sehen mich noch unter der Nachwirkung von dem allen. Und doch, was bedeutet es neben dem, was
Sie
durchzumachen hatten. Und Ebba mit Ihnen. Ein Wunder, daß Sie gerettet
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