Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
Finger an den Lippen um ihn herum und flüsterten ehrfürchtig: »Pst! Der Meister schweigt! Er bereitet sich auf etwas vor.« Zehn Jahre lang schwieg er so geheimnisvoll: Dann war er gezwungen, seine Stimme zu erheben, murmelte etwas in Theaterzeitschriften, auf kindische Art. Und die Welt erfuhr, dass der Meister in der Zeit seines Schweigens einfach nur geschwiegen hat, weil er nichts zu sagen hatte.
Als der Faschismus das ungarische Geistesleben zum Schweigen brachte, hofften wir: In diesem Schweigen würden große Werke reifen. Dann ging der Faschismus unter, und die linken Geister ergriffen das Wort. Und es stellte sich heraus, dass auch sie »einfach nur so« geschwiegen hatten; gezwungenermaßen, aber auch deshalb, weil sie nichts zu sagen hatten. Es gibt keinen Roman, kein Gedicht, keinen wissenschaftlichen Aufsatz, über die man sagen könnte: Ja, der Faschismus hat sie abgewürgt, und jetzt konnten sie endlich erscheinen! Sie waren das Schweigen wert! … Nein, es gibt gar nichts.
Die kommunistischen Blätter greifen das Tagebuch und meine Person heftig an. Der Ton, die Phrasen dieser Angriffe, die man in die Form einer Kritik kleidet, gleichen auf gespenstische Weise jenen faschistischen Attacken, mit denen heute vor einem Jahr und auch früher schon alle meine Bücher beanstandet wurden. Genau auf die gleiche Weise haben György Oláh , Milotay , Rajniss verfälscht, was ich geschrieben habe. Doch einer der kommunistischen ungarischen Kritiker geht noch weiter als die Faschisten: Er »zitiert« einen – als Kriegshetze zu verstehenden – Satz aus irgendeinem angeblichen Artikel von mir, den ich niemals geschrieben habe! All das könnte leicht widerlegt werden: aber warum denn und wozu? Man darf mit Feinden, die unredlich sind, kein Wort wechseln, man darf sich mit den Attacken einfach nicht beschäftigen, man muss weiter schreiben und leben, solange es möglich ist, und darf weder nach links noch nach rechts schauen. Iam alios vidimus ventos … Und ich muss all das schreiben, was ich schreiben will, und darf mich nicht mit meinem persönlichen Schicksal und dem Schicksal meiner Texte beschäftigen.
Wenn ich alles dessen noch nicht überdrüssig bin … Ich kann keine Angst mehr verspüren, auch kann man mich nicht mehr beleidigen. Aber angewidert bin ich manchmal schon sehr.
Was ist doch gleich dieser »Mut«? Wie viel auch darüber gelogen wird.
Ich glaube, jemand, der sehr gut beobachten kann, ist mutig. Jemand, der sich nicht fürchtet zu beobachten. Jemand, der hinschaut, bis zum letzten Augenblick, egal, was ihm das Leben zeigt, egal, was passiert. Beobachten, un erbittlich, unsere Augen nicht schließen, wie sehr sich unser Lebensumfeld auch verändert … dazu gehört wahrer Mut.
Heute vor einem Jahr und auch früher schon haben die Handlanger der Pfeilkreuzler jede meiner Zeilen angefeindet. Heute verfälschen, verdrehen, beanstanden kommunistische Schreiberlinge all das, was ich jetzt noch schreibe. Sie bezeichnen mich triumphierend als den »Bürger«, als wäre das eine Erbsünde, als würden sie »Raubmörder« sagen. Was anderes können sie nicht vorbringen; doch während einer Revolution genügt auch das als belastendes Material für eine Anklageschrift.
Bürger, ja … Was sollte ich sonst sein? Wenige haben so bewusst gegen die fatalen konstitutionellen Sünden einer Klasse angekämpft wie ein paar von uns, die wir als Schreibkundige und Bürger geboren wurden und in diesen Jahrzehnten zum Streiten gezwungen waren. Die Zeit des Coupons schnippelnden Bürgertums ist wahrlich abgelaufen. Was aber ist an seine Stelle getreten? Welchen Anspruch auf Moral zeigen die Bauern und die Arbeiter? Wo steckt in diesen Gesellschaftsschichten der Geist der Aufopferung? Oder der Wille nach und der Anspruch auf Bildung? Was ich beobachte, ist erbärmlich. Die armseligste Wortdrescherei in Presse, Wissenschaft und Literatur. Unredliche Schacherei, auf den Hinterhöfen im Dorf genau wie in den städtischen Hauseingängen. Dümmliches Herumstottern auf den Podien des Geistes. Der Bürger, ja … Doch seine Richter? Seine Urteilsvollstrecker? Mit welchem Recht urteilen sie?
Im bleischweren Dezemberschneeregen wandere ich ohne Straßenbahn und Brücken vom Morgen bis zum Abend fünfzehn, zwanzig Kilometer zwischen Buda und Pest. Ich tue das wie ein Pilger mit masochistischer Freude. Jede Art körperlicher Müdigkeit taugt dazu, das trostlose Bewusstsein der Heimatlosigkeit einzuschläfern.
Ein
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