Urban Gothic (German Edition)
brauchte. Die Displaybeleuchtung an dieser Stelle zu benutzen, wäre dumm gewesen. Das fehlte gerade noch, dass er diesen kannibalischen Freaks seine Position verriet.
Er nahm sich vor, Brett ein neues Telefon zu kaufen, sobald sie hier raus wären, dann fragte er sich, ob er seinen Freund überhaupt wiedersah, um dieses Versprechen einzuhalten.
Wasser tropfte auf seinen Kopf. Javier schaute nach oben und kam sich albern vor. Natürlich konnte er nichts sehen. Er bahnte sich den Weg durch die unterirdische Kammer, fest entschlossen, die Mädchen und Brett, nach Möglichkeit aber auch einen Fluchtweg zu finden. Irgendwo hier unten musste es doch einen geben. Brett hatte gehört, wie die Mörder sich darüber unterhielten. Javier blieb jäh stehen. Ein beängstigender Gedanke jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Was, wenn Noigel und der Kerl mit der Frauenhaut Brett nur verarscht hatten? Was, wenn sie genau wussten, dass er sich in der Küche versteckte, und nur mit ihm spielten, statt ihn auf der Stelle zu töten? Was, wenn sie ihm bewusst Hoffnungen gemacht hatten, dass sich im Keller ein Ausweg befand?
Falls dem so war, gab es nichts, das Javier im Augenblick dagegen unternehmen konnte. Er bezweifelte ernsthaft, dass er den Weg zurück zur Kellertreppe fand, selbst wenn es ihm gelang, Heather und die anderen aufzuspüren. Javier setzte sich erneut in Bewegung. Sein Rücken fühlte sich verkrampft an, sein Nacken steif vor Anspannung. Er ignorierte sämtliche Wehwehchen und bemühte sich, auf jedes erdenkliche Geräusch zu achten, doch abgesehen von einzelnen Wassertropfen blieb es totenstill.
Paul erwachte und merkte, dass er sich in Bewegung befand. Man hatte ihn verkehrt herum an eine lange Metallstange gebunden. Aus Stahl, der Beschaffenheit und dem Gewicht nach zu urteilen. Hätte ihm wahrscheinlich ein hübsches Sümmchen auf dem Schrottplatz eingebracht. Die Stricke schnitten in seine Hand- und Fußgelenke und schabten an seiner Haut. Er schaukelte hin und her, während ihn die Kidnapper durch einen unterirdischen Tunnel trugen. Paul starrte auf den Boden. Er hob den Kopf ein wenig an, um die Wände betrachten zu können. Sie schienen natürlich gewachsen, nicht künstlich angelegt zu sein. Vielleicht eine Höhle? Zwar hatte er noch nie von Höhlen unter Philadelphia gehört, doch er fand die Vorstellung nicht sonderlich überraschend. Immerhin gab es in Pennsylvania jede Menge Kalksteinhöhlen und -schächte sowie Überbleibsel alter Erz- und Kohlebergwerke.
Als seine Sinne vollständig wieder einsetzten, fragte er sich, wieso er etwas sehen konnte, wenn er sich tatsächlich in einer unterirdischen Höhle befand. Dann spürte er eine leichte Brise im Nacken. Trotz seiner Angst und Verwirrung empfand er den unverhofften Luftzug kurzzeitig als lindernd. Als Paul die Augen erneut aufschlug, befand er sich wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte – und wünschte sofort, dem wäre nicht so. Denn damit kehrte auch die Erinnerung daran zurück, was sich ereignet hatte – sein Abstecher in die Kanalisation, der Sturz durch das Loch, die Landung in dem ekelhaften Tümpel aus verflüssigten Leichen und Abwasser sowie letztlich ... die Kreaturen, die ihm in der Dunkelheit aufgelauert hatten. Paul hob den Kopf und starrte seine Kidnapper an. Sein Mund wurde trocken. Er holte Luft, um zu schreien, doch bevor er es tun konnte, quetschte ihm ein besonders heftiger Ruck den Atem aus der Lunge.
Sie schienen überall zu sein. Er zählte mindestens acht – zwei an jedem Ende der Stange, von der er hinabbaumelte und die er mittlerweile als eine Art Abwasserrohr erkannte, das aus Eisen statt aus Stahl bestand. Die Muskeln der Gestalten spannten sich an und sie stöhnten vor Anstrengung, während sie ihn schleppten. Neben den Stangenträgern trabten mehrere weitere Wesen vor ihnen sowie am Ende des Trosses. Paul versuchte, sich zusammenzureimen, mit wem er es zu tun hatte. Sie muteten menschenähnlich an, allerdings glaubte Paul mit ziemlicher Sicherheit, dass es sich nicht um normale Menschen handelte. Ihre Körpergröße und Form wichen zu weit von der Norm ab, jede der Gestalten schien mit einem Geburtsfehler behaftet zu sein.
Einige der Mutationen wirkten beinahe banal, andere hingegen zutiefst verstörend. Einer seiner Kidnapper präsentierte sich mit nackter Brust, die von einem dichten Gewirr krauser schwarzer Haare bedeckt wurde. Zwei münzgroße Nippel lugten daraus hervor. Ein anderer
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