Urban Gothic (German Edition)
die man dort angeordnet hatte. Darüber hing so etwas wie ein behelfsmäßiges Gestell, angefertigt aus Eisenwinkeln, Holzbalken und Rohren. Über zweien der Fässer baumelte etwas – etwas Rohes, Rotes, Glänzendes. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er da vor sich hatte. Leichen. Zwei geschlachtete menschliche Körper. Jeder hing mit dem Kopf nach unten über einem der Fässer, war gehäutet und ausgeweidet worden. Paul musste unwillkürlich an Wildverarbeitungsplätze in der Jagdsaison denken. Die Leichen hatten keine Köpfe mehr und er vermochte ihr Geschlecht nicht zu bestimmen. Sie waren vom Hals bis zum Schritt aufgeschlitzt und aller inneren Organe entledigt worden. Früher waren das Menschen gewesen. Nun glichen sie nur noch ausgekratzten Kadavern.
»Oh Gott. Oh mein Gott ...«
Sie hievten Paul höher und hakten die Stange in dem Gestell ein. Er baumelte über einem leeren Fass. Sein Kopf befand sich nur Zentimeter vom Rand entfernt.
»He!«, schrie er gellend. »Tut das nicht! Bitte tut es nicht! Wir können doch darüber reden, oder? Ihr braucht mich nicht. Ihr habt doch schon zwei. Und ich kann euch bezahlen. Ich gebe euch alles, was ihr wollt, in Ordnung? Nur bitte, tut das nicht!«
Sein Flehen verkam zu unsinnigem Gebrabbel, als der Zweiköpfige und die anderen seelenruhig davonschlenderten. Ein anderer Mutant näherte sich. Paul blinzelte und starrte aus seiner verkehrten Position zu der Gestalt hoch. Die Kreatur erwiderte seinen Blick. Ihr einziges, einsam mitten im Gesicht prangendes Auge schloss und öffnete sich. Ihr Aussehen erinnerte an das eines mythischen Zyklopen. Der Schädel war glatt und unbehaart, die Ohren standen in seltsamem Winkel seitlich vom Kopf ab. Paul fühlte sich an Blumenkohl erinnert. Der Neuankömmling lächelte ihn mit einem breiten Schlitz von einem Mund an und entblößte dabei scharfe, aber faulige Zähne. In der Hand hielt er ein langes Tranchiermesser mit breiter Klinge. Sie funkelte silbrig im Licht der Feuer.
»Lasst mich frei. Hör mal, Mann. Kannst du mich verstehen?«
Der Zyklop nickte langsam und lächelte weiter. »Ich verstehe dich. Für einige der Jüngeren gilt das nicht. Sie haben nie die Sprache von oben gelernt. Aber wir Älteren kennen sie noch. Ein paar von uns können sogar lesen.«
»Was ... was bist du?«
»Ich bin Curd.«
»I-ist das d-dein Name, deine Rasse oder was?«
Der Zyklop legte den Kopf schief, runzelte die Stirn und starrte ihn zutiefst konzentriert an, als versuche er, sich zusammenzureimen, was Paul meinte.
»Curd ist mein Name.«
»Prima. Jetzt kommen wir allmählich voran. Ich heiße Paul. Paul Synuria.«
»Ist mir egal.«
Paul leckte sich über die Lippen. »Ich weiß, und das ist schon in Ordnung. Aber hör mal ... Curd. Hör mir zu. Du musst nicht tun ... was immer du tun willst. Ich kann dafür sorgen, dass es sich für dich lohnt. Was brauchst du?«
»Dass du still bist.«
»In Ordnung, das kann ich tun. Aber sag mir vorher noch, was du wirklich brauchst. Ich besorge es für dich, ganz gleich, was es ist.«
»Du hast alles dabei, was wir brauchen. Dein Gehirn, dein Herz, deine Nieren und jede Menge Fleisch. Wir werden sogar deine Knochen benutzen.«
»Nein ... hör mir zu ... oh Gott ...«
»Wärst du eine Frau, würde Scug deine Haut haben wollen, aber er ist gerade mit anderen Frauen beschäftigt, also werden wir sie für etwas anderes verwenden.«
Paul stammelte verwirrt.
»Du bist heute Nacht nicht der Einzige hier«, fuhr Curd fort und klatschte mit der freien Hand auf eine der blutigen Leichen. »Diese zwei hat Noigel getötet. Hat ihre Köpfe zermanscht, deshalb sind uns die Gehirne entgangen, aber das macht nichts, es sind ja noch genug von euch übrig. Scug und die anderen jagen sie gerade. Heute Nacht haben wir viel zu tun.«
Damit hob er das Messer an und trat vor, packte Pauls Haare mit der Faust und schlang die Finger hinein.
»Nein!«, kreischte Paul. »Nicht, gottverdammt! Hast du mich nicht verstanden? Ich kann dir geben, was immer du willst.«
»Du hast mich nicht verstanden. Ich sagte doch, du hast alles, was wir wollen, schon dabei. Wir werden alles von dir verwenden, nachdem ich dich ausgeblutet habe. So wurde es uns beigebracht und so bringen wir es den Kleinen bei. Jedes einzelne Stückchen von dir wird weiterverwertet.«
Pauls Augen weiteten sich. Gelächter stieg in ihm auf, und diesmal konnte er es nicht beherrschen. Es hallte durch die Höhle.
»Weiterverwertet!«,
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