Urban Gothic (German Edition)
den Schlamm.
Sie spürte, wie sich der Boden unter ihr zu neigen begann, anfangs nur leicht, dann plötzlich steiler, und sie hatte Mühe, nicht Hals über Kopf abwärtszurutschen. Dann veränderte sich der Untergrund, und sie geriet tatsächlich ins Schlittern. Der weiche, glitschige Matsch war nach wie vor da, aber ihre Handflächen versanken nicht mehr so tief darin wie eben noch. Sie konnte unter ihren Fingern wieder Holz ertasten. Kerri bremste ihre Vorwärtsbewegung ab und tastete über das spröde Material. Es schien hart genug zu sein, um für den Einsatz als Keule infrage zu kommen. Dazu musste es ihr allerdings erst gelingen, ein Brett zu lösen. Immerhin ein denkbarer Ersatz für den zurückgelassenen Knüppel. Ihre Hände zitterten sowohl unter nervöser Anstrengung als auch wegen des ausgestoßenen Adrenalins, als sie die Ränder des Bretts entlangfuhr, um es herauszureißen. Eine rasche Erkundung ergab, dass es sich nicht um ein einzelnes Brett, sondern um mehrere zusammengenagelte Teile handelte. Sie tastete weiter, wischte mit den Fingern den Schlamm um die Konstruktion weg, suchte verzweifelt nach irgendetwas, das sie zur Verteidigung benutzen konnte – irgendetwas erschien immerhin besser als nichts.
Dann hielt sie inne, legte den Kopf schief und lauschte. Die schnuppernde Kreatur hatte sich verzogen – oder war zumindest wieder verstummt. Kerri machte weiter und arbeitete so leise wie möglich. Allein mithilfe ihres Tastsinns ermittelte sie schließlich die Abmessungen der Holzkonstruktion. Deutlich größer, als sie vermutet hatte. Kerri zog am linken Rand, jedoch trotz aller Mühe vergeblich. Der obere Rand gab ein wenig nach, der untere ließ sich umständlich einige Zentimeter anheben, langsam und mit einem feuchten, schmatzenden Geräusch.
Das ist eine Tür, erkannte sie. Aber wohin führt sie? In eine weitere Kelleretage? Wer bringt denn eine Tür im Boden einer Höhle an?
Die von unten aufsteigende Luft roch anders. Nicht frischer, aber weniger abscheulich. Eine angenehme Abwechslung. Kerri holte tief Luft, schob den Arm in das schwarze Loch und fühlte Kühle. Ihre Finger ertasteten nichts. Was immer sich dort unten verbergen mochte, befand sich zu weit in der Tiefe, um es zu erreichen. Sie streckte sich weiter und suchte nach Stufen oder einer Leiter, als hinter ihr ein weiteres Geräusch ertönte. Es klang, als werde Metall über Stein geschleift. Zu ihren Seiten hallten kehlige Stimmen wider. Während Kerri lauschte, verwandelten sie sich in Geflüster.
Vorsichtig, aber schnell schob sich Kerri tiefer hinab. Die Holzklappe fiel dabei nach unten und kratzte erst über ihre Schulterblätter, dann über ihren Rücken. Dadurch wurde sie derart in ihrer Bewegung eingeengt, dass sie nicht weiter vorankam. Krampfhaft kämpfte Kerri gegen das Gewicht an und bemühte sich, so leise wie möglich zu sein. Endlich gelang es ihr, die Tür lange genug anzuheben, um den restlichen Körper darunter hindurchzuschieben. Ihre Füße stießen gegen etwas Festes. Sie stellte sich darauf, zog den Kopf ein und ließ die Pforte herabsinken. Anschließend erkundete sie den neuen Bereich. Ihre linke Hand kam in Kontakt mit etwas, das sich wie eine Steinwand anfühlte, trocken und kühl. Sie hob einen Fuß und streckte ihn in die Finsternis. Kerri seufzte vor Erleichterung, als sie eine weitere Stufe berührte. Langsam stieg sie hinab und fragte sich, was sie am Ende der Treppe erwarten mochte.
Javier hatte seinen Gürtel verloren. So viel wusste er noch, als er das Bewusstsein zurückerlangte. Er tastete in der Dunkelheit umher, suchte nach der provisorischen Waffe, und alles fiel ihm schlagartig wieder ein. Der Gürtel war ihm während seiner Flucht von einem Gegner im Schatten aus den Händen gerissen worden. Aber was hatte sich danach zugetragen? Wehrlos und voll Schmerzen lag er auf dem Boden und versuchte, sich an das restliche Geschehen zu erinnern. Sein Gesicht tat weh und eine Übelkeit erregende Mischung aus Blut und Schlamm verstopfte eines seiner Nasenlöcher und füllte seine Mundhöhle. Hustend stemmte sich Javier in eine sitzende Haltung und schüttelte sich den Dreck aus dem Gesicht und aus den Haaren.
Was zum Teufel war nur passiert?
Javier erinnerte sich daran, gerannt zu sein. Er hatte den anderen zugebrüllt, ihm zu folgen, und sich bemüht, eine Schneise für sie zu schaffen, indem er es mit den Kreaturen aufnahm. Und das hatte er getan. Wie eine Kettensäge pflügte er durch die
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