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Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Titel: Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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gewöhnt gewesen, dass sie mich beobachteten und beurteilten, weil ich die Tochter des Pastors war. Doch wenn ich ihnen nun den Rücken zukehrte, wurde ich augenblicklich zur Aussätzigen – aber das ist wohl nichts Ungewöhnliches, wenn der Kapitän des Hockeyteams verhaftet wird und von der Schule fliegt, weil er dich angegriffen hat. Mal ehrlich, ich hatte keine Ahnung, dass die Holy Trinity Academy (HTA) so fanatisch nach Hockey war, bevor ich dafür verantwortlich gemacht wurde, unsere Chancen für den Gewinn der Meisterschaft verdorben zu haben. Spielte ja weiter keine Rolle, dass Pete Bradshaw mich tatsächlich angegriffen hatte.
    Ich konnte nicht einmal darauf reagieren, weil normale Menschen eben nicht hören, was andere über sie sagen, wenn sie sich zwei Zimmer weiter nebenan aufhalten. Ich muss also zugeben, dass ich mich nur ein bisschen schuldig fühlte, als sich mein Supergehör heute in der Schule einschaltete und ich belauschte, dass die Massen eine neues saftiges Thema hatten, auf dem sie herumkauen konnten. Die Neuigkeiten über die Ereignisse im Day’s Market hatten schon die Runde gemacht. Und die Spekulationen über die Übeltäter erhielten neues Futter, als meine zweite Stunde, Sport, abgeblasen wurde, weil man entdeckt hatte, dass es an einem der Fenster der Turnhalle einen Einbruchsversuch in die Schule gegeben hatte.
    In der dritten Stunde schließlich kursierten die wildesten Gerüchte über die Flure, als verkündet wurde, dass auch der Religionsunterricht komplett ausfiele, daMr. Shumway, der Religionslehrer, nicht in der Schule erschienen sei.
    Einige Leute behaupteten, Mr. Shumway werde vermisst. Doch als ich durch die Haupthalle lief, hörte ich, wie eine Sekretärin im Büro des Direktors sagte, dass er heute ganz früh angerufen und gekündigt habe. Das ergab jedoch keinen Sinn, da Mr. Shumway während der letzten zwei Wochen ständig von einer großen Überraschung gesprochen hatte, deren Einzelheiten er unserer Klasse eigentlich heute hatte verraten wollen. Ich war fast schon bereit, dem Typen unten in der Halle zu glauben, der fünfzig Meter von meinem Spind entfernt behauptete, er habe gehört, dass Mr. Shumway im Zusammenhang mit dem Einbruch ›etwas gesehen‹ hätte. Und dass es ihn derart erschreckt hätte, dass er sich weigerte, zurück in die Schule zu kommen.
    Es gab tatsächlich so viel Gequatsche, dass ich in der vierten Stunde nur noch meinen Kopf auf den Zeichentisch legen und mir die Hände auf die Ohren pressen konnte.
    »So schlimm?«, fragte Daniel, als er sich auf den Platz neben mich setzte.
    »Grauenhaft. Es verursacht mir echt Übelkeit, dass ich nicht in der Lage bin, mein Supergehör ein- und auszuschalten, wann ich es will. Ach, und erinnere mich bitte daran, dass ich nicht mehr am Umkleideraum der Jungs vorbeilaufe, wenn meine Ohren gespitzt sind. Für eine Truppe von christlichen Schülern haben sie ganz schön derbe Sprüche drauf.«
    Daniel lachte. Bei der Vibration der Schallwellen hätte ich am liebsten meine Stirn auf die Tischplatte geknallt.
    »Oh, tut mir leid«, flüsterte Daniel und räusperte sich. »Du glaubst also, dass Jude etwas mit diesem versuchten Einbruch in die Turnhalle zu tun hat?«, fragte er so leise wie möglich. »Trainer Brown meint, wer immer es gewesen ist, hätte es auf die Computer im Labor nebenan abgesehen. Aber ich schätze, dass Jude nach dem Besuch bei Day’s hier gewesen ist.«
    Ich hob meinen Kopf gerade in dem Augenblick, als April Thomas an unserem Tisch vorbeikam und auf ihren Platz im hinteren Teil des Raums zusteuerte. Eine Viertelsekunde lang schielten ihre Augen in meine Richtung. Dann lief sie direkt zu ihrem Tisch, den sie sich mit Kimberly Woodruff teilte, ohne weiter erkennen zu lassen, dass sie meine Existenz überhaupt wahrnahm. Ich erinnerte mich, dass wir uns vor nicht allzu langer Zeit – im letzten Jahr – noch einen Tisch geteilt hatten, als wir die einzigen Schüler der Mittelstufe gewesen waren, die an Mr. Barlows Kunst-Leistungskurs hatten teilnehmen dürfen. Bevor Daniel in die Stadt zurückgekehrt war, April anfing, mit meinem Bruder auszugehen und alles zwischen uns total seltsam wurde.
    »Was meinst du?«, fragte Daniel.
    Ich wollte es nicht glauben, doch es ergab durchaus einen Sinn, dass Jude nach dem Supermarkt die Schule aufgesucht hatte, wenn man in Betracht zog, dass er in der Nacht, in der er Jessica Days Leiche hinter dem Supermarkt deponiert hatte, hierhergekommen war. Er war

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