Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Titel: Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
Vom Netzwerk:
den Supermarkt ganz allein zu plündern. Also, Jude war daran beteiligt oder auch nicht. Aber wer immer das getan hat – er kann nicht allein gewesen sein.«

KAPITEL 4

Wie eine Bombe
     
    Später am Tag
     
    Nach den Weihnachtsferien und dem Schulbeginn hatte es nicht lange gedauert, bis die Leute in unserem Viertel bemerkten, dass Jude verschwunden war und Mom sich nicht mehr wie die Mutter der Nation und Vorzeigegattin des Pfarrers aufführte. Am Ende der ersten Schulwoche im Januar hatte die ganze Gemeinde kapiert, dass irgendetwas mit den Divines nicht in Ordnung war. Und Dad hatte beschlossen, dass er seinen Gemeindemitgliedern eine Erklärung schuldig wäre. Er wollte die Wahrheit sagen. Zumindest in einer Version, die keine Werwölfe beinhaltete. Selbst meine Mutter wusste nicht viel, und angesichts ihres labilen Geisteszustands war es für sie wahrscheinlich das Beste.
    »Ich möchte nur sagen, dass Jude Probleme hatte und weggelaufen ist«, hatte Dad uns erklärt. »Und dass wir es schätzen würden, wenn sich die Leute gedulden, bis sich unsere Familie auf die neue Situation eingestellt hat.«
    Doch Mom wollte das nicht zulassen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass irgendwer ein Urteil über ihre Erziehung fällte und schlecht über unsere Familie dachte.
    »Was sollen wir denn dann machen?«, hatte Dad sie gefragt.
    »Wir lügen«, hatte sie geantwortet.
    »Die ganze Stadt belügen?«, hatte ich gefragt.
    »Ja.« Sie hatte sich auf ihrem Stuhl hin- und hergewiegt und auf den Fernseher gestarrt. »Er wird bald zurückkommen. Wir finden ihn. Niemand wird je erfahren, dass etwas nicht in Ordnung war.«
    An jenem zweiten Sonntag im Januar fütterte Dad die Menschen in Rose Crest also mit der ›offiziellen‹ Version – und belog sie geradewegs von der Kanzel herab. Gemäß dem Wunsch meiner Mutter erzählte er, dass Jude zu unseren Großeltern nach Florida gefahren sei, weil sie nach Großvater Kramers Rückenoperation Hilfe im Haus brauchten. Und dass er, also mein Dad, ebenfalls gelegentlich zur Unterstützung dort hinfahren werde.
    Doch die Leute sind nicht blöd. Sie kamen nicht umhin zu bemerken, dass Jude bereits seit fast zehn Monaten fort war, ohne uns auch nur ein einziges Mal besucht zu haben. Ihnen war nicht entgangen, dass sein Verschwinden mit einem mysteriösen ›Hundeangriff‹ in der Pfarrkirche einhergegangen war, der Daniel für eine Woche auf die Intensivstation gebracht hatte. Natürlich fiel ihnen auf, dass Mom, mit ihrem zu einem falschen Lächeln erstarrten Gesicht und den völlig glasigen Augen, kaum in der Lage war, eine von Dads Predigten zu überstehen. Und die Leute stellten alsbald fest, dass Dad häufiger nach ›Florida runterflog‹, um seinen Schwiegereltern zu helfen, als dass er sich zu Hause aufhielt.
    Was also bedeutete, dass die Bewohner von Rose Crest über uns redeten.
    Ich wusste, dass es nicht möglich war, allen Menschenreinen Wein über die Ereignisse des letzten Jahres einzuschenken. Doch neben der Tatsache, die Geheimnisse der Unterwelt zu kennen und jeden im Hinblick auf das Verschwinden meines Bruders anzulügen, musste ich auch noch verbergen, dass ich hören konnte, was sich die Leute hinter unserem Rücken über meine Familie und mich erzählten – ein weiterer wenig schöner Nebeneffekt der Tatsache, über ein übermenschliches Gehör zu verfügen, das gern zu den unmöglichsten Zeiten einsetzte.
    Die meisten Menschen sind grundsätzlich freundlich. Doch einige waren nur in meiner unmittelbaren Anwesenheit nett. Ich konnte sie über meine Familie tuscheln hören, sobald sie mich außer Hörweite glaubten. Sie liebten es, darüber zu spekulieren, dass Jude vielleicht drogensüchtig wäre oder uns verlassen hätte, um sich einer Sekte anzuschließen. Oder dass er sich auf einer dieser Schulen ganz weit im Westen befände, wo sie gestrauchelte Kids ohne ausreichende Wasservorräte durch die Wüste wandern lassen.
    »Ich hab’s ja immer gewusst, dass dieser Junge viel zu perfekt war, um wirklich echt zu sein. Ich wette, sie haben in jener Nacht in der Pfarrkirche Drogen genommen«, hatte ich Brett Johnson, einen von Judes Freunden, einmal flüstern hören, als ich einen Block von ihm und seiner Freundin entfernt war.
    Ich wusste auch, dass die Menschen, wenn sie glaubten, dass ich sie unmöglich hören könnte, meine Mutter als verrückt bezeichneten.
    Was die Leute auf der Schule über mich sagten, warkaum weniger nervig. Ich war immer daran

Weitere Kostenlose Bücher