Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
Minuten weg. Und die Überwachungskameras haben nichts aufgezeichnet.« Mr. Day zeigte auf die Kameras in jeder Ecke des Ladens. »Hab sie mir gestern Abend noch mit dem Sheriff angesehen. Alles schwarz. Und die sind batteriebetrieben und würden auch funktionieren, wenn man den Strom für das ganze Gebäude abstellt. Keiner von euch mageren Holy-Trinity-Kids hätte so was machen können.« Er wandte sich zu Chris Tripton. »Ich sage dir, es müssen dieses unsichtbaren Ganoven aus der City sein. Oder das Markham Street Monster ist erwacht und spezialisiert sich jetzt auf Einbrüche.« Mr. Day klang wie der Nachrichtensprecher vom Abend zuvor. Allerdings scherzte er nicht.
Stacey verdrehte die Augen, schüttelte dann aber den Kopf, als sie bemerkte, dass Mr. Day sie ansah.
Daniel senkte den Blick und fegte mit seinem Besen ein paar Glasscherben zusammen.
Gemäß der ›offiziellen‹ Erklärung hatten wilde Hunde Mr. Days Enkelin Jessica angegriffen und waren auch für die anderen Vorfälle im letzten Winter verantwortlich – Maryannes Verstümmelung, James’ Verschwinden sowie das, was Daniel, Jude und mir in der Pfarrkirche zugestoßen war –, doch Mr. Day glaubte seit dieser Zeit felsenfest an das Markham Street Monster.
»So oder so, diese Stadt hat ein Problem. Ich wette, ich bin nur der Erste in einer Reihe. Jemand oder etwas mit so viel Kraft wird sich nicht mit einem einzigen Laden begnügen. Merkt euch meine Worte: Rose Crest wird auf direktem Weg zur Hölle fahren, wenn nicht irgendjemand etwas unternimmt.«
Im Büro klingelte das Telefon. Es klang seltsam blechern und musste ebenfalls demoliert worden sein. »Die Lokalzeitung hat schon von der Geschichte Wind gekriegt«, grummelte Mr. Day. »Sie rufen die ganze Zeit an. Würde mich nicht wundern, wenn hier heute noch ein paar Reporter aus der City aufkreuzen und sich wie die Geier auf den Laden stürzen. Selbst wenn ich völlig ruiniert wäre, würden sie immer noch meinen, die Geschichte sei eine tolle Schlagzeile wert. Ich dachte eigentlich, dass ich mich mit diesen Typen nicht mehr abgeben müsste, nachdem sie von Jessicas Tod genug hatten. Jetzt werden sie die Geschichte zusammen mit dieser Sache noch mal neu aufkochen.« Er versuchte, schroff und genervt zu klingen, doch seine Stimme überschlug sich beinahe und ich bemerkte seine geschwollenen, roten Augen.
Das Telefon klingelte weiter. Mr. Day bewegte sich auf sein Büro zu. »Ihr beiden fahrt jetzt zur Schule«, sagte er und zeigte auf Daniel und mich.
»Aber wir könnten Ihnen doch helfen«, protestierte ich.
»Euch Kids steht bald die Aufnahme am College bevor. Ich möchte nicht, dass ihr euch meinetwegen die Noten versaut. Aber ich erwarte dich nach der Schule wieder hier«, sagte er zu Daniel, dann nahm er das klingelndeTelefon ab. »Hallo!«, schrie er förmlich in den Hörer, bevor er die Bürotür hinter sich schloss. Mr. Day hatte das hier wirklich nicht verdient. Besonders nicht nach dem, was mit Jessica passiert war.
»Dann sollten wir uns mal auf den Weg machen.« Daniel reichte Chris seinen Besen. »Ich komme nach der letzten Stunde wieder her.«
»Wir rühren uns nicht vom Fleck.« Chris klang so, als hätte er selbst gern eine Entschuldigung gehabt, um abzuhauen.
Daniel nahm meine Hand, als wir auf die nicht mehr vorhandene Tür zugingen. Nach ein paar Schritten bemerkte ich, dass etwas unter meinem Schuh kleben geblieben war. Ich ließ Daniel los, beugte mich hinunter und schälte eine Plastikkarte von meinem Stiefelabsatz. Ich drehte sie um. Es war eine völlig weiße Karte mit dem kleinen Logo THE DEPOT auf der Vorderseite und einem Magnetstreifen auf der Rückseite. Sie erinnerte mich an die Kundenkarte vom Coffeeshop, die jedes Mal, wenn ich etwas kaufte, durch das Lesegerät gezogen wurde.
Daniel blieb stehen und blickte sich zu mir um. »Was hast du da?«
»Sieht aus wie eine Mitgliedskarte oder so was. Hast du schon mal von einem Ort namens Depot gehört?«
Daniel schüttelte den Kopf.
Ich hielt die Karte hoch. »Das könnte eine Spur sein, meinst du nicht? Vielleicht hat einer der Typen diese Karte während des Raubs fallen gelassen.«
»Hm, könnte sein.« Daniel schien diese Möglichkeit nicht sonderlich ernst zu nehmen.
Hinter uns gab Stacey ein schnaubendes Geräusch von sich. »Du klingst wie einer von den Drei Fragezeichen«, sagte sie. »Schraub deine Hoffnungen nicht zu hoch. Die Kunden verlieren hier die ganze Zeit so’n Zeug. Wir haben eine ganze
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