Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
während sie mit Videospielen beschäftigt waren, die sich hauptsächlich um Waffen, schnelle Autos und halbnackte Frauen drehten. Die spielende Meute war um ein paar wenige Mädchen ergänzt, die genauso spärlich bekleidet waren wie diejenigen auf den Bildschirmen. Die meisten von ihnen hingen entweder an der Bar am anderen Ende des Raums ab oder sprangen in Korsetts und Ledermonturen gekleidet auf der Tanzfläche herum. Ihre Aufmachung ließ meinen Versuch, wie ein taffes Mädchen zu wirken, geradezu lächerlich wirken.
Die Typen in diesem weitläufigen Raum waren eine wilde Mischung aus Hipsters und Goths. Ich hatte noch nie zuvor so viele fiese Bärte, enge Hosen, Piercings und Tattoos auf einem Haufen gesehen. Ich musste plötzlich an die Party denken, auf der ich einmal in Daniels alter Wohnung in der Markham Street gelandet war. Die Party, die mich zu Tode erschreckt in die Nacht hinausgejagt hatte – nur dass das hier zwanzig Mal schlimmer war. In meiner Vorstellung war dies exakt so ein Ort, vor dem die Erwachsenen in Rose Crest uns immer zu warnen versuchten, wenn sie uns Geschichten über das Markham Street Monster erzählt hatten.
»Da vorn ist der Hotspot«, sagte April. Ihre Stimme zitterte noch immer ein wenig. »Von da aus muss Jude mich kontaktiert haben.« Sie ging auf eine Reihe niedrigerMetalltische mit darauf festgeschraubten Laptops zu, die auf der linken Seite des Clubs standen, etwas entfernt vom ganzen Getümmel.
»Was hast du vor? Ich dachte, wir wollten uns schön im Hintergrund halten?«
»Du kannst schön im Hintergrund bleiben. Halte Ausschau nach deinem Bruder und frag ein bisschen herum. Ich bin der Lockvogel.« Sie schüttelte ihre Haare auf und zog mit ihren rosafarbenen Lippen einen Schmollmund. »Wenn Jude hier ist, möchte ich, dass er mich sieht. Dann locken wir ihn nach draußen.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.« Selbst in unserem kleinen dunklen Eckchen konnte ich spüren, dass wir weit mehr Aufmerksamkeit auf uns zogen, als mir lieb war. Mir war klar, dass sich April mit der Wahl ihres Outfits bewusst sexy geben wollte. Doch ihre Jeansjacke und das mit rosa Pailletten besetzte Tanktop leuchteten in diesem Meer aus schwarzem Leder und Piercings wie ein Neonschild, auf dem HALLO, ICH HABE KEINE AHNUNG UND BIN EIN LEICHTES OPFER stand.
Und Polyesterhosen hin oder her, ich war mir sicher, dass ich genauso daneben aussah wie sie.
»Wenn Jude hier ist, wird er wahrscheinlich am ehesten zu mir kommen. Bleib du im Hintergrund und schau dich um.« April schlenderte zum Internet-Hotspot hinüber. Schwungvoll warf sie ihre blonden Locken über die Schulter und setzte sich an den Computer. Ich erschauderte, als mir klar wurde, wie unschuldig sie dort in der freien Wildbahn aussah.
Dann beschloss ich, mein Suchfeld auszuweiten, eine Runde durch den Club zu drehen, mit einem Auge nach Jude Ausschau zu halten und April im anderen zu behalten. Ich hatte es einmal durch den Club geschafft, ohne dabei jemanden anzublicken, bevor mir klar wurde, dass ich wahrscheinlich jemanden ansprechen musste, wenn ich irgendetwas über Jude herausfinden wollte. Eine Minute lang stand ich in einer Ecke und versuchte mir ein Herz zu fassen, als mir plötzlich jemand an einer der Spielkonsolen auffiel. Mit ihren Tattoos sahen die meisten Typen aus, als seien sie nicht viel älter als ich, und derjenige, der an einer drahtlosen Spielkonsole etwas abseits der Gruppe saß, kam mir ziemlich bekannt vor.
Petes Kumpel … der, den sie Ty genannt hatten. Ich sah mich um und fragte mich, ob das bedeutete, dass auch Pete in der Nähe war. Er war der Letzte, dem ich an diesem Ort gern begegnet wäre. Aber es schien, als wäre Ty ohne ihn hier. Ich erinnerte mich, dass mich der Typ in der Nacht zuvor vor die Mauer gestoßen hatte. Dennoch hoffte ich, dass er immer noch genügend Angst vor Daniel hatte (der aus dem Kampf mit seinen Kumpels ja als Sieger hervorgegangen war), dass er mir keinen Ärger machte, wenn ich versuchte, ihn etwas zu fragen. Abgesehen davon wirkte er im Vergleich zu den meisten Typen an der Spielstation ziemlich zahm.
Ty drückte wie wild auf den Tasten seines Handreglers herum und rief atemlos: »Mach schon, mach schon!«, sodass er nicht bemerkte, dass ich mich hinter ihn stellte.
Ich wollte ihm gerade auf die Schulter tippen, als derstark tätowierte Typ neben ihm abrupt hochfuhr und obszöne Beleidigungen in Richtung seines Bildschirms ausstieß. »Wer hat mich
Weitere Kostenlose Bücher