Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
immer noch menschlich. Sie haben noch immer ein menschliches Herz, das mit dem Herz des Dämons koexistiert. Deshalb zählt das Töten eines Werwolfs in böser Absicht so viel wie ein räuberischer Akt gegen einen Menschen. Aber echte Dämonen sind anders. Die Gelals nehmen nur die äußere Erscheinung der Menschen an. Im Grunde genommen haben sie überhaupt gar keine richtigen Körper. Und die Akhs, eine Unterart der Vampire, nisten sich in den Körpern von Verstorbenen ein. Betrachte sie als dämonische Heimsuchung eines toten Menschen. Deshalb stinken sie auch nach fauligem Fleisch. Zumindest für Leute mit empfindlichem Geruchssinn.« Er tippte sich an die Nase. »Deswegen zerfallen sie auch zu Staub, wenn man sie tötet. Durch die Heimsuchung eines Dämons wird der Verfall des menschlichen Körpers beschleunigt, und wenn der Dämon im Körper getötet wird, fällt dieser auseinander.«
»Oh.« Mein Kopf drehte sich. Dad hatte mir Bücher über Werwölfe gegeben, doch die meisten hatten nur Mythen und keine wirklich handfesten Informationen enthalten. Der Gedanke, mit einem echten Dämon zu kämpfen, war mir immer so abwegig und vollkommen irreal vorgekommen, dass ich mir erst gar nicht die Mühe gemacht hatte, viel über den Feind zu lernen. Talbot hatte recht: Ich war wirklich noch ziemlich grün hinter den Ohren.
Was mich beinahe umgebracht hätte.
»Danke, dass du mich gerettet hast. Ich hätte wohl einfachnur dagelegen und mich von ihr umbringen lassen.« Ich zog die Beine an und umklammerte die Knie. Ich kam mir ziemlich nutzlos vor. »Ich konnte nicht anders, als das zu tun, was sie wollte.«
»Gedankenkontrolle«, erklärte Talbot. »Denk einfach dran, einem Akh niemals in die Augen zu sehen. Darin unterscheiden sie sich auch von gewöhnlichen Vampiren. Akhs sind so was wie Psycho-Vampire. Sie ernähren sich von deiner Lebenskraft und rauben deinen freien Willen. Aber Gelals und Akhs sterben alle auf dieselbe Weise: Pflock ins Herz oder eine gute, altmodische Enthauptung.«
Ich schauderte angesichts der Erinnerung an die erste Frau, deren Kopf vom Rumpf getrennt worden war. »Ich war von allem hier total schockiert und hab völlig vergessen, dass da noch jemand im Haus war.«
»Das war mein Fehler. Ich hätte dich daran erinnern sollen, sodass du vorbereitet gewesen wärst. Aber das sollte uns beiden eine Lehre sein, okay?« Talbot lächelte mich an. »Regel Nummer eins: Niemals deine Deckung aufgeben.«
Ich verzog den Mund zu einem halbherzigen Lächeln, runzelte aber plötzlich die Stirn. Daniel hatte mir wieder und wieder dasselbe gesagt. Ich hasste den Gedanken, dass ich ihm nicht erzählen könnte, was heute geschehen war. Ich würde ihn anlügen müssen.
Das Gefühl totaler Niedergeschlagenheit lastete auf meinen Schultern, als ich wieder den leeren Raum betrachtete. »Ich wünschte nur, du hättest nicht alle umbringenmüssen. Ich meine, wir konnten keinen von ihnen nach Jude fragen. Wenn dies die Gang war, bei der er untergeschlüpft ist, wo zum Teufel ist er dann jetzt?«
»Jude ist nie hier gewesen«, entgegnete Talbot. »Diese Kreaturen waren bloß Amateure. Billige Kopien. Das waren nicht die richtigen Shadow Kings. Die echte Gang hätte niemals den stillen Alarm in der Pfandleihe ausgelöst.«
Ich stand auf und blickte Talbot an. Meine Hände zitterten vor Wut. »Moment mal, hast du etwa die ganze Zeit gewusst, dass es nicht die richtige Gang war?«
Talbot nickte.
»Wieso sind wir dann hierhergekommen?«
»Weil dies ein Test war, Grace. Ich musste einfach wissen, ob du so weit bist, und offensichtlich bist du es nicht. Was du hier gesehen hast und was am Montag in dieser Gasse passiert ist, war im Vergleich zu dem, was uns vielleicht noch bevorsteht, ein Kinderspiel. Diese kleine Bande von Dilettanten bestand nur aus vier Leuten. Die echte Gang ist wahrscheinlich fünfmal so groß.«
Diese Vorstellung ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. »Du wusstest also, dass Jude nicht hier ist, bevor wir hier reingeplatzt sind?«
»Ja.«
»Aber warum hast du dann gesagt … Warum hast du mich glauben lassen, dass er hier wäre?«
»Weil ich wollte, dass du dich genügend aufregst, um zu agieren. Deine Gefühle – aus ihnen resultieren deine Kräfte.«
Talbots Worte verwirrten mich. »Aber das ist nicht das,was Daniel zu mir sagt. Er ermahnt mich immer, meine Kräfte zurückzuhalten, wenn ich wütend werde. Er sagt, der Schlüssel zur richtigen Anwendung meiner Fähigkeiten
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