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Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)

Titel: Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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wieder schneller schlug. »Ich kann dir helfen«, sagte er.
    »Wie?«
    Talbot kam noch einen Schritt näher. Ich beobachtete sein Spiegelbild, als er die Hände ausstreckte und mir das Haar hinter die Ohren zurückschob. Dann umfasste er mit beiden Händen mein Gesicht und presste die Handflächen auf die Wunden auf meiner Wange. Ich zuckte zusammen und versuchte, mich seiner Berührung zu entziehen.
    »Ruhig«, sagte er leise. »Denk nicht an den Schmerz. Denk daran, wo der Schmerz hergekommen ist. Daran, wie du diese Wunden bekommen hast. Was hast du gefühlt, als es passierte?«
    »Angst.« Ich rief mir den Anblick des vor meinen Augen aufgespießten Gelals in Erinnerung. Dann, wie er nach dem Schwert gegriffen und sich die Hände aufgeschlitzt hatte. »Entsetzen.«
    »Schließ deine Augen.«
    Ich ließ meine Lider zufallen.
    »Konzentrier dich auf das, was du gefühlt hast«, flüsterte er mir ins Ohr. »Behalte diese Gefühle in dir, bis sie verbrennen.«
    Zuerst wusste ich nicht, was er meinte. Es schien so ganz gegenteilig von dem, was Daniel mir gesagt hatte, sodass ich nicht glaubte, es könnte funktionieren. Doch vor meinem geistigen Auge ließ ich die schreckliche Szene erneut ablaufen und mich von der Angst des Augenblicks einhüllen. Ich fühlte die Panik in meiner Brust ansteigen. Dann spürte ich eine kribbelnde Wärme unter Talbots Berührung. Die Hitze nahm zu, bis sie sich anfühlte wie weißglühende Kohlen. In dem Augenblick, als ich dachte, der Schmerz würde mich ohnmächtig machen, löste er sich auf.
    Ich öffnete die Augen. Talbot nahm die Hände von meinem Gesicht und legte sie mir auf die Schultern. Die Wunden waren nicht mehr da.
    »So gut wie neu«, befand er.
    Eine Sekunde lang trafen sich unsere Blicke im Spiegel, dann drehte ich schnell den Kopf weg.
    Ich wusste nicht, ob ich Talbot noch mal auf dieselbe Art wie zuvor betrachten konnte. In den letzten Stunden hatte er sich in meinen Augen sehr verändert. Er war nicht nur ein Farmerjunge mit Grübchen in den Wangen, der zufälligerweise auch noch ein Urbat war und mich an tröstliche Dinge erinnerte. Unter seinem karierten Hemd schlug das Herz eines mächtigen Jägers, der stark genugwar, mit einem einzigen Hieb seines stählernen Schwerts einen Dämon zu töten.
    Talbot war gefährlich.
    Daran hatte ich keinen Zweifel.
    Gleichzeitig konnte ich nicht umhin, ihn mir als kleinen Jungen vorzustellen, der vor Angst schrie, während seine Eltern vor seinen Augen starben. Es rief in mir den Impuls hervor, ihn in die Arme zu nehmen, ihn wie James festzuhalten und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde – und dass ich ihm helfen könnte, die Monster zu vertreiben.
    Ich löste mich von ihm und wollte gehen. Es war nicht richtig, Talbot so nahe zu sein. Ich liebte Daniel.
    »Grace.«
    »Ja?« Ich drehte mich zu ihm.
    Einen Augenblick blieb er ganz still stehen. Sein Gesichtsausdruck war alles andere als fröhlich. »Nimm das Handtuch und wisch alles ab, was du vielleicht angefasst hast.«
    »Wieso?«
    Er zog sein Handy aus der Tasche. »Ich hatte recht. Hier hat jemand gewohnt. Ich muss die Polizei anrufen, damit sie sich um die Leiche kümmern können.«

KAPITEL 16

Die Bestien von Gevaudan
     
    Später, im Bus
     
    »Wow, was zum Teufel ist denn mit dir passiert?«, fragte April, als ich vor dem Freizeitzentrum auf sie und Claire traf.
    »Ähm …« Sah ich etwa immer noch so grauenhaft aus?
    »Ihhh. Ernsthaft, was ist das da auf deinem Hemd?«
    Ich blickte an meinem weißen Polohemd hinab. Die Gelal-Säure hatte offenbar kleine Löcher in mein Hemd gefressen, Reste des schwarzen Breis klebten noch an den Rändern.
    »Oh, Mist«, sagte ich.
    Claire machte ein Gesicht, als ob sie würgen müsste. »Was musstet ihr denn bloß machen?«
    »Oh, ähm. Wir haben das Haus von einem alten Mann aufgeräumt, und da war alles verseucht. Wir mussten ein bisschen Ungeziefer zerquetschen.«
    »Krank!«, befand April. »Das tut mir echt leid. Wir mussten bloß den Zaun hinter einer Grundschule anstreichen. Dann gab’s Kuchen.« Sie zog ein in eine Serviette gewickeltes Kuchenstück aus ihrer Handtasche und reichte es mir. »Ehrlich, ich denke, du verdienst es.«
    »Oh, danke«, erwiderte ich.
    Allerdings wusste ich nicht, wann – oder ob – ich überhaupt je wieder etwas würde essen können. Nicht nachdem, was Talbot im Schlafzimmer dieses heruntergekommenen Hauses entdeckt hatte. Der alte Mann hatte nicht die geringste Chance gegen diese Monster

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