Urbi et Orbi
zusammen und wartete dann, bis er vor den Altar treten durfte.
Die Abgabe der Stimmzettel geschah nach einer strengen Rangfolge. Kardinalbischöfe kamen vor Kardinalpriestern und Kardinaldiakonen; innerhalb der jeweiligen Gruppen bestimmte der Zeitpunkt der Kardinalserhebung die Reihenfolge. Valendrea sah zu, wie der ranghöchste Kardinalbischof, ein silberhaariger Italiener aus Venedig, die vier Marmorstufen zum Altar hochstieg, den gefalteten Stimmzettel für jedermann sichtbar in der erhobenen Hand.
Als es auch für ihn so weit war, trat Valendrea zum Altar. Er wusste, dass die anderen Kardinäle ihn beobachteten, und so kniete er sich wie zum Gebet hin, sprach aber nicht mit Gott. Er wartete einfach nur eine angemessene Zeitspanne ab und stand wieder auf. Dann wiederholte er laut die Worte, die jeder Kardinal sprechen musste:
»Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, dass ich den gewählt habe, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden sollte. «
Er legte seinen Stimmzettel auf die Patene, hob den schimmernden Teller hoch und ließ den Zettel in den Kelch gleiten. Mit dieser ungewöhnlichen Methode wurde sichergestellt, dass jeder Kardinal nur einen einzigen Stimmzettel abgab. Er stellte den Hostienteller sanft wieder ab, faltete die Hände zum Gebet und zog sich zu seinem Platz zurück.
Der Wahlgang dauerte beinahe eine Stunde. Nachdem die letzte Stimme eingeworfen war, wurde das Gefäß zu einem anderen Tisch getragen. Dort wurde der Inhalt durchgeschüttelt, und dann wurden die Stimmen von den drei Wahlprüfern gezählt. Die Revisoren beobachteten alles und wandten ihre Augen keine Sekunde vom Tisch ab. Beim Entfalten jedes Stimmzettels wurde der darauf notierte Name laut vorgelesen. Jeder Kardinal machte seine eigene Strichliste. Die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen musste sich auf hundertdreizehn belaufen. Andernfalls würde man die Zettel vernichten, und der Wahlgang würde für ungültig erklärt.
Nach dem Verlesen des letzten Namens sah Valendrea sich das Ergebnis an. Er selbst hatte zweiunddreißig Stimmen erhalten. Nicht schlecht für einen ersten Wahlgang. Aber Ngovi hatte vierundzwanzig Stimmen auf sich versammelt. Die verbliebenen siebenundfünfzig Stimmen verteilten sich auf zwei Dutzend Kandidaten.
Valendrea starrte die Versammlung an.
Offensichtlich dachten alle dasselbe wie er.
Das würde ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden.
42
Medjugorje, Bosnien-Herzegowina
18.30 Uhr
M ichener fand zwei Zimmer in einem der neueren Hotels. Als sie Jasnas Haus verließen, hatte es zu regnen begonnen, und sie hatten es gerade noch ins Hotel geschafft, bevor es am Himmel losging wie eine Ladung Silvesterraketen. Dies sei die regnerische Jahreszeit, erklärte eine Hotelangestellte. Wenn die kalten Nordwinde auf die warme Luft der Adria stießen, käme es zu heftigen Schauern und Gewittern.
Sie aßen in einem Café in der Nähe zu Abend, in dem viele Pilger saßen. Die meisten Leute unterhielten sich auf Englisch, Französisch oder Deutsch, und die Gespräche kreisten um das Heiligtum. Jemand berichtete, dass zwei der Seher am Nachmittag in der St. Jakobskirche gewesen seien. Jasna sei erwartet worden, aber nicht aufgetaucht, und ein anderer Pilger merkte an, es komme durchaus vor, dass sie während der täglichen Erscheinung für sich bleibe.
»Morgen suchen wir diese beiden Seher«, sagte Michener beim Essen zu Katerina. »Ich hoffe, dass wir mit denen besser klarkommen.«
»Sie war ziemlich beeindruckend, oder?«
»Sie ist entweder eine äußerst gewiefte Betrügerin oder tatsächlich echt.«
»Warum hat es dich irritiert, als sie Bamberg erwähnte? Es ist doch kein Geheimnis, dass der Papst seine Heimatstadt liebte. Ich glaube nicht, dass sie den Namen gar nicht kennt.«
Er berichtete ihr, was Clemens in seiner letzten E-Mail über Bamberg geschrieben hatte: Verfahrt mit meiner Leiche, wie es euch beliebt. Zeremonieller Pomp macht keinen Toten frommer. Meine persönliche Präferenz allerdings ist Bamberg. In dieser wunderschönen Stadt an der Regnitz und in ihrem Dom, den ich so sehr geliebt habe, würde ich gern meine letzte Ruhe finden. Ich bedaure nur, dass ich ihn nicht noch ein letztes Mal sehen konnte. Vielleicht könnte mein Vermächtnis immer noch dort sein. Michener verschwieg jedoch, dass diese Worte aus dem Abschiedsbrief eines Selbstmörders stammten. Das rief ihm eine andere Bemerkung Jasnas in den Sinn: Ich habe für den Papst gebetet.
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