Urbi et Orbi
lang steif und aufrecht in der strengen Sixtinischen Kapelle saß. Unterdessen war jeder der Kardinäle zum Altar gegangen und hatte vor Ngovi und Gott geschworen, keine Beeinflussung der Wahl durch weltliche Autoritäten zu dulden und, falls man sie ins munus Petrinum – ins Amt des Hirten der Weltkirche – wählte, die spirituellen und säkularen Rechte des Heiligen Stuhls zu verteidigen. Auch er hatte vor Ngovi gestanden, und der Blick des Afrikaners hatte ihn nicht losgelassen, als er seinen Schwur ablegte.
Eine weitere halbe Stunde verging damit, dem Personal, das beim Konklave Dienst tat, einen Schweigeeid abzunehmen. Dann befahl Ngovi allen außer den Kardinälen, die Kapelle zu verlassen, und die zweite Flügeltür wurde ebenfalls geschlossen. Er wandte sich den Versammelten zu und sagte : » Wünschen Sie, dass jetzt gewählt wird?«
Die Apostolische Konstitution Johannes Pauls II. ließ einen sofortigen ersten Wahlgang zu, wenn das Konklave es wünschte. Einer der französischen Kardinäle stand auf und äußerte den diesbezüglichen Wunsch. Valendrea war erfreut. Der Franzose war einer der seinen.
»Falls jemand dagegen ist, möge er sich jetzt melden«, sagte Ngovi.
Es blieb still. Früher war zu diesem Zeitpunkt die Wahl durch Akklamation möglich gewesen, die als direkte Intervention des Heiligen Geistes gegolten hatte. Jemand nannte spontan einen Namen, und alle stimmten überein, ihn zum Papst zu bestimmen. Aber dieser Option hatte Johannes Paul II. ein Ende bereitet.
»So wollen wir denn beginnen«, sagte Ngovi.
Der rangniedrigste Kardinaldiakon, ein dicker, dunkelhäutiger Mann aus Brasilien, watschelte nach vorn und zog drei Namen aus einem Silberkelch. Damit waren die Wahlprüfer bestimmt, die die Aufgabe hatten, die Namen der Gewählten in Listen zu schreiben und die Stimmen zusammenzuzählen. Falls der Wahlgang ergebnislos endete, würden sie die Stimmzettel im Ofen verbrennen. Dann wurden drei weitere Namen aus dem Kelch gezogen, die Revisoren. Ihre Aufgabe bestand darin, die Wahlprüfer zu kontrollieren. Schließlich wurden drei infir m arii gewählt, denen es oblag, die Stimmzettel etwaiger erkrankter Kardinäle abzuholen. Von den neun mit Ämtern betrauten Kardinälen konnte Valendrea nur vier als sichere Anhänger betrachten. Besonders ärgerlich war die Wahl des Kardinalarchivisten als Revisor. Vielleicht würde der alte Sack sich jetzt rächen.
Vor jedem Kardinal lag neben dem Schreibblock und dem Stift eine vier Zentimeter breite, rechteckige Karte. Oben waren die Worte ELIGO IN SUMMUM PONTIFICEM aufgedruckt: Ich wähle zum obersten Pontifex. Darunter war freier Platz für den Namen. Valendrea mochte diese Wahlzettel sehr gerne, da sie von seinem geliebten Paul VI. entworfen worden waren.
Am Altar, unter den schmerzlichen Bildern von Michelangelos Letztem Gericht , leerte Ngovi die verbliebenen Namen aus dem Silberkelch. Man würde sie mit den Zetteln des ersten Wahlgangs verbrennen. Dann wandte sich der Afrikaner in lateinischer Sprache an die Kardinäle und wiederholte di e W ahlvorschriften. Danach verließ er den Altar und setzte sich zu den Kardinälen. Seine Aufgabe als Camerlengo näherte sich dem Ende, und in den kommenden Stunden würde er kaum noch aktiv werden müssen. Die Wahl stand jetzt bis zu ihrem Abschluss unter der Aufsicht der Wahlprüfer.
Einer der Wahlprüfer, ein Kardinal aus Argentinien, sagte : » Bitte, schreiben Sie einen Namen auf den Wahlzettel. Steht mehr als ein Name auf dem Wahlzettel, ist die Stimme ungültig. Wenn Sie fertig sind, falten Sie bitte den Stimmzettel und treten Sie zum Altar. «
Valendrea sah sich in der Kapelle um. Die hundertdreizehn Kardinäle saßen dicht gedrängt. Er wollte schnell gewinnen und das Ganze hinter sich bringen, doch er wusste, dass kaum je ein Papst schon im ersten Wahlgang gewonnen hatte. Normalerweise gaben die Kardinäle ihre erste Stimme jemandem, der ihnen besonders nahe stand: einem Lieblingskardinal, einem engen Freund, einem Vertreter des eigenen Erdteils oder der eigenen Region, oder sie wählten sogar sich selbst, was allerdings keiner jemals zugeben würde. So konnten sie ihre wahren Absichten verschleiern und den Preis für ihre künftige Unterstützung hochschrauben. Schließlich machte nichts einen Favoriten großzügiger als eine unvorhersehbare Zukunft.
Valendrea malte seinen eigenen Namen auf den Wahlzettel, wobei er seine Schrift gründlich verstellte, faltete den Zettel anschließend zweimal
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