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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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ehemaliger Priester mit angekratzter Glaubwürdigkeit. So aber wurde er als der Einzelgänger wahrgenommen , der das Establishment herausforderte. David gegen Goliath, und da war nie einer für den Riesen.
    Valendrea sah zu, wie der Kardinalarchivar neue Wahlzettel austeilte. Der alte Mann ging schweigend durch den Mittelgang und warf Valendrea einen kurzen, herausfordernden Blick zu, bevor er ihm den leeren Zettel reichte. Auch mit diesem Typ hätte er sich schon längst gründlicher befassen sollen.
    Wieder fuhren die Stifte übers Papier, und das Ritual der Stimmzettelabgabe in den Kelch wiederholte sich. Die Wahlprüfer mischten die Stimmzettel und begannen mit der Auszählung. Valendreas Name wurde neunundfünfzig Mal laut vorgelesen, Ngovis dreiundvierzig Mal. Die restlichen elf Stimmen blieben weiterhin verteilt.
    Sie würden den Ausschlag geben.
    Er brauchte weitere siebzehn Stimmen für die Wahl. Selbst wenn es ihm gelänge, jeden Einzelnen der Unentschiedenen für sich zu gewinnen, fehlten ihm noch sechs von Ngovis Unterstützern, und der Afrikaner wurde erschreckend schnell stärker. Am beunruhigendsten war, dass er jede der elf noch nicht festgelegten Stimmen, die ihm jetzt entgingen, aus Ngovis Stimmblock gewinnen musste, und das könnte sich als unmöglich erweisen. Nach dem dritten Wahlgang legten die Kardinäle sich häufig endgültig fest.
    Valendrea reichte es. Er stand auf. »Ich denke, Eminenzen, wir haben uns für heute genug zugemutet. Ich schlage vor, dass wir zu Abend essen, uns ausruhen und morgen weitermachen.«
    Das war keine Bitte. Jeder Teilnehmer hatte das Recht, die Wahlprozedur zu unterbrechen. Er sah sich wütend in der Kapelle um und ließ seine Augen auf dem einen oder anderen möglichen Verräter ruhen.
    Er hoffte, dass die Botschaft verstanden wurde. Der schwarze Rauch, der nun gleich aufsteigen würde, entsprach seiner Stimmung.
    44
    Medjugorje, Bosnien-Herzegowina
23.30 Uhr
     
    M ichener erwachte aus tiefem Schlaf. Katerina lag neben ihm. Er verspürte Unbehagen, das er aber nicht auf ihre Liebesnacht zurückführte. Er hatte kein schlechtes Gewissen wegen dieses neuerlichen Bruchs seines Priestergelübdes, doch es verunsicherte ihn, dass alles, worauf er sein Leben lang hingearbeitet hatte, so wenig bedeutete. Vielleicht empfand er das auch nur so, weil die Frau neben ihm im Bett ihm nun wichtiger war. Zwei Jahrzehnte lang hatte er der Kirche und Jakob Volkner gedient. Doch sein lieber Freund war tot, und in der Sixtinischen Kapelle lief alles auf Veränderungen hinaus, bei denen er keine Rolle mehr spielen würde. Bald würde der zweihundertachtundsechzigste Nachfolger Petri gewählt sein. Er selbst war der Kardinalswürde zwar sehr nahe gekommen, doch es hatte einfach nicht sein sollen. Sein Schicksal lag offensichtlich woanders.
    Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihm auf – eine seltsame Mischung aus Sorge und Unruhe. Im Traum hatte er immer wieder Jasnas Stimme gehört: Vergessen Sie Bamberg nicht … Ich habe für den Papst gebetet. Seine Seele braucht unser Gebet. Versuchte sie, ihm etwas klar zu machen? Oder wollte sie ihn einfach nur überzeugen?
    Er stand auf.
    Katerina rührte sich nicht. Sie hatte beim Abendessen ein paar Bier getrunken, und Alkohol machte sie immer schläfrig. Draußen tobte noch immer das Unwetter. Der Regen hämmerte gegen die Scheiben, und das Licht der Blitze flackerte durchs Zimmer.
    Er schlich zum Fenster und spähte nach draußen. Regen prasselte auf die Ziegeldächer der Häuser auf der Straßenseite gegenüber, und das Wasser schoss in Sturzbächen aus den Regenrohren. Auf beiden Seiten der verlassenen Gasse parkten Autos.
    Mitten auf der Straße stand eine einsame Gestalt im strömenden Regen.
    Er versuchte, das Gesicht zu erkennen.
    Jasna.
    Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und sah zu seinem Fenster herauf. Ihr Anblick bestürzte ihn, und er wollte schnell etwas überziehen, bis ihm klar wurde, dass sie ihn unmöglich sehen konnte. Die Vorhänge waren nur halb zugezogen, doch vor dem Fenster hing noch eine Spitzengardine, und die Scheibe war vom Regen verschmiert. Michener stand ein Stück hinter dem Fenster, das Zimmer war dunkel, und draußen war stockdunkle Nacht. Doch im Licht der Straßenlaternen drei Stockwerke tiefer stand Jasna, die zu ihm heraufsah.
    Etwas drängte ihn sich zu erkennen zu geben.
    Er zog die Spitzengardine beiseite.
    Sie winkte ihn mit dem rechten Arm zu sich hinunter. Er wusste nicht, was er tun sollte.

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