Urbi et Orbi
entschieden.
»Father Kealy«, erklärte Valendrea gerade. »Es liegt in der Natur des Glaubens, dass man nichts hinzufügen oder wegnehmen kann. Sie müssen die Lehren unserer Mutter Kirche als Ganzes annehmen oder vollständig zurückweisen. Es gibt keine halben Katholiken. Unsere Prinzipien in ihrer Auslegung durch den Heiligen Vater sind nicht gottlos und lassen sich nicht verwässern. Sie sind so rein wie Gott.«
»Meines Wissens zitieren Sie gerade Papst Benedikt XV.«, merkte Kealy an.
»Sie kennen sich gut aus. Umso mehr betrübt mich Ihre Häresie. Einem so intelligent wirkenden Mann wie Ihnen sollte klar sein, dass diese Kirche offenen Dissens weder dulden kann noch wird. Und schon gar nicht in einem Maße, wie er von Ihnen praktiziert wurde. «
»Damit sagen Sie nur, dass die Kirche Diskussionen fürchtet.«
»Ich sage damit, dass die Kirche Regeln festsetzt. Wenn Ihnen diese Regeln nicht gefallen, müssen Sie genug Stimmen sammeln, um einen Papst zu wählen, der die Regeln ändert. «
»Wie konnte ich das nur vergessen! Der Heilige Vater ist j a u nfehlbar. Was auch immer er in Glaubensdingen behauptet, ist fraglos richtig. Gebe ich das Dogma korrekt wieder?«
Michener fiel auf, dass keiner der anderen Prälaten auch nur ansatzweise etwas gesagt hatte. Offensichtlich hatte der Kardinalstaatssekretär heute die Rolle des Inquisitors. Die anderen gehörten jedoch ohnehin zu seinen loyalen Anhängern, sie würden ihrem Wohltäter nicht ins Gehege kommen. Thomas Kealy machte Valendrea die Sache jedoch leicht und fügte sich selbst mehr Schaden zu, als alle zusätzlichen Fragen hätten anrichten können.
»Das ist richtig«, antwortete Valendrea. »Die Unfehlbarkeit des Papstes gehört zum Glaubensbestand der Kirche.«
»Wieder so eine von Menschen geschaffene Doktrin.«
»Ein weiteres Dogma, zu dem diese Kirche sich bekennt.«
»Ich bin ein Priester, der Gott und die Kirche liebt«, erklärte Kealy. »Mir ist nicht klar, warum man mich wegen meiner abweichenden Meinungen exkommunizieren sollte. Debatte und Diskussion sind die Grundlagen einer klugen Politik. Warum hat die Kirche Angst davor?«
»Hochwürden, hier geht es nicht um Redefreiheit. Wir sind nicht Amerika, es gibt hier kein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf dergleichen. In dieser Verhandlung geht es um Ihre Beziehung mit einer Frau, um die öffentlich zelebrierte Freisprechung von Ihrer beider Sünden und um Ihren offenen Dissens. In all diesen Punkten stehen Sie in einem eklatanten Gegensatz zu den Regeln der Kirche, der Sie angehören.«
Micheners Blick wanderte wieder zu Kate. So hatte er sie immer genannt, um dieser durch und durch osteuropäischen Frau zumindest einen Touch seines irischen Erbes zu verleihen. Sie saß aufrecht da, ein Notizbuch auf dem Schoß, und war ganz auf die Diskussion konzentriert.
Er dachte an ihren letzten gemeinsamen Sommer in Bayern , als er in den Semesterferien drei Wochen Urlaub mit ihr gemacht hatte. Sie waren in ein Alpendorf gefahren und mitten zwischen schneebedeckten Gipfeln in einem Gasthaus abgestiegen. Er wusste, dass es falsch war, aber damals hatte sie schon einen Teil seiner selbst berührt, von dessen Existenz er gar nichts gewusst hatte. Kardinal Valendreas Bemerkung über die Gemeinschaft des Priesters mit der Kirche beschrieb tatsächlich die Grundlage des priesterlichen Zölibats. Ein Priester sollte sich ausschließlich Gott und der Kirche weihen. Aber seit jenem Sommer fragte Michener sich immer wieder, warum es nicht möglich sein sollte, eine Frau, die Kirche und Gott gleichzeitig zu lieben. Was hatte Kealy gesagt? Wie andere fromme Menschen.
Er spürte, dass ihn jemand ansah. Als er aufblickte, sah er, dass Katarina den Kopf gedreht hatte und ihn direkt anblickte.
Ihr Gesicht zeigte immer noch die Hartnäckigkeit, die er damals so attraktiv gefunden hatte. Auch ihre Augen hatten noch die leichte mongolische Schrägstellung. Die Mundwinkel waren nach unten gezogen, das Kinn weiblich und sanft. Nach außen hin hatte sie keine harten Kanten. Alles Scharfkantige war in ihrer Persönlichkeit verborgen. Er betrachtete ihre Miene prüfend und versuchte, ihre Stimmung zu erahnen. Er bemerkte weder Zorn noch Groll noch Zuneigung. Ihr Blick war nichts sagend, er enthielt nicht einmal einen Gruß. Michener fühlte sich unbehaglich angesichts dieses Schattens aus seiner Vergangenheit. Vielleicht hatte Kate erwartet, ihn hier zu sehen, und wollte ihm nicht das befriedigende Gefühl
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