Urbi et Orbi
durfte.
»Vielleicht könnten Euer Heiligkeit sich diesem Vergnügen nach dem Abschluss meines Berichts widmen? Ich habe noch weitere Verpflichtungen, und das Tribunal hat mich den ganzen Vormittag über beschäftigt. «
»Es dauert doch nicht lange«, wandte Clemens ein.
Valendrea wusste, dass der Deutsche ihn gerne verspottete. Von jenseits des geöffneten Fensters hörte man das Summen Roms, dieses einzigartige Geräusch, das drei Millionen Menschen und ihre Fahrzeuge auf einem Untergrund aus poröser Vulkanasche erzeugten.
Auch Clemens schien das ferne Dröhnen wahrzunehmen . » Diese Stadt hat einen eigenartigen Klang.«
»Es ist unser Klang.«
»Ach, fast hätte ich es vergessen. Sie sind ja im Gegensatz zu uns Italiener. «
Valendrea stand neben einem Himmelbett, das so viele Kerben und Macken aufwies, um sie wie einen Teil der Holzarbeit wirken zu lassen. Das Fußende war mit einer alten Häkeldecke bedeckt, und am Kopfende lagen zwei riesige Kissen. Auch die restlichen Möbel waren deutsch – der hohe Schrank, die Kommode und die Tische waren alle im bayerischen Stil bunt bemalt. Seit der Mitte des elften Jahrhunderts war dies der erste deutsche Papst. Clemens II. war für den gegenwärtigen Clemens XV. ein Quell der Inspiration gewesen – woraus der Pontifex auch gar kein Geheimnis machte. Jedoch war jener frühe Clemens höchstwahrscheinlich vergiftet worden, eine Lektion, die der jetzige Papst – wie Valendrea häufig dachte – besser beherzigen sollte.
»Vielleicht haben Sie Recht«, gab Clemens nach. »Die Leute können warten. Wir haben Amtsgeschäfte zu erledigen, nicht wahr?«
Ein Windstoß fuhr durchs Fenster und raschelte in den Unterlagen auf dem Schreibtisch. Valendrea legte die Hand auf das flatternde Papier, bevor es auf die Computertastatur wehte. Clemens hatte das Gerät noch nicht eingeschaltet. Er war der erste Papst, der mühelos mit dem PC arbeitete – wieder etwas, was die Presse an ihm liebte –, aber gegen diese Veränderung hatte Valendrea nichts einzuwenden gehabt. Internet- und Fa xv erbindungen waren viel einfacher zu überwachen als Telefone.
»Wie ich hörte, waren Sie heute Vormittag recht eifrig«, meinte Clemens. »Welche Entscheidung wird der Gerichtshof treffen?«
Valendrea nahm an, dass der Papst Micheners Bericht bereits gehört hatte. Er hatte den Privatsekretär des Papstes im Publikum gesehen. »Ich wusste nicht, dass Euer Heiligkeit ein solches Interesse am Thema der Verhandlung hegen.«
»Wie sollte ich nicht neugierig sein? Der ganze Petersplatz steht voller Übertragungswagen. Beantworten Sie also bitte meine Frage.«
»Father Kealy hat uns keine Alternative gelassen. Er wird exkommuniziert. «
Der Papst verschränkte die Hände im Rücken. »Er hat nicht um Vergebung gebeten?«
»Er war geradezu beleidigend arrogant und hat uns zum Kampf herausgefordert.«
»Vielleicht sollten wir die Herausforderung annehmen.«
Valendrea fühlte sich überrumpelt, doch Jahrzehnte des diplomatischen Dienstes hatten ihn gelehrt, Überraschung mit Fragen zu überspielen. »Und was wäre der Zweck dieses unorthodoxen Vorgehens?«
»Warum muss denn alles einen Zweck haben? Vielleicht sollten wir uns einfach einmal eine gegensätzliche Meinung anhören. «
Kein Muskel zuckte in Valendreas Gesicht. »Die Frage des Zölibats kann man unmöglich öffentlich diskutieren. Diese Doktrin besteht seit fünfhundert Jahren. Was kommt dann als Nächstes? Frauen im Priesteramt? Die Ehe für Geistliche? Die Billigung von Verhütungsmitteln? Sollen alle Dogmen auf den Kopf gestellt werden?«
Clemens trat zu seinem Bett und betrachtete ein aus dem Mittelalter stammendes Porträt Clemens ’ II . das an einer Wand hing. Valendrea wusste, dass er es aus den weiträumigen Kellerräumen hatte hochbringen lassen, wo es jahrhundertelang geruht hatte. »Er war Bischof von Bamberg, ein einf a cher Mann, der nicht im Geringsten nach der Papstwürde strebte.«
»Er war ein Vertrauter des Königs«, entgegnete Valendrea . » Er hatte politische Beziehungen, und er war zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Position.«
Clemens drehte sich um und sah ihn an. »Wie ich selbst, nehme ich an?«
»Sie wurden von einer überwältigenden Kardinalsmehrheit gewählt, die vom Heiligen Geist durchdrungen war. «
Um Clemens ’ Lippen spielte ein ironisches Lächeln. »Oder lag es vielleicht daran, dass kein anderer Kandidat, Sie selbst eingeschlossen, die nötigen Stimmen auf sich vereinigen
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