Urbi et Orbi
auch da.«
»Dieses Dokument findet sich nicht in Ihrem Verzeichnis. Clemens hat es in die Riserva gebracht. «
»Ich trage keine Verantwortung für Dinge, von deren Existenz ich nichts weiß. «
»Wirklich? Dann sagen Sie mir doch einmal, was Sie wissen. Was wurde bei Ihrem Treffen mit Kardinal Ngovi und Monsignore Michener besprochen?«
Der Archivar schwieg.
»Aus Ihrem Schweigen muss ich schließen, dass es um das abhanden gekommene Dokument ging und dass Sie mit seinem Verschwinden zu tun haben.«
Der Papst wusste, dass dieser Vorstoß den alten Mann tief treffen musste. Als Archivar hatte er die Pflicht, die Schriften der Kirche zu bewahren. Wenn eine davon abhanden gekommen war, würde das seine Amtszeit für immer beflecken.
»Ich habe nie etwas anderes getan, als die Riserva auf Befehl Seiner Heiligkeit, Clemens XV. , zu öffnen.«
»Das glaube ich Ihnen auch, Eminenz. Ich glaube, dass Clemens das Dokument selbst entfernt hat. Heimlich. Und ich möchte es einfach wiederfinden.« Er schlug einen versöhnlicheren Ton an, um zu zeigen, dass er die Erklärung des Archivars akzeptierte.
»Auch ich möchte …« , begann der Archivar, stockte aber dann, als könnte er zu viel sagen.
»Fahren Sie fort, Eminenz.«
»Falls wirklich etwas fehlt, bin ich nicht weniger schockiert als Sie. Aber ich habe keine Ahnung, wann der Verlust eingetreten ist oder wo das gesuchte Dokument sich befinden könnte.« Sein Tonfall machte deutlich, dass er bei dieser Erklärung bleiben würde.
»Wo ist Michener?« Die Antwort auf diese Frage meinte Valendrea schon zu kennen. Doch es konnte nicht schaden, wenn er sich noch einmal vergewisserte, dass Ambrosi nicht auf der falschen Fährte war.
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Archivar, ein leises Beben in der Stimme.
Jetzt stellte Valendrea ihm die Frage, um die es ihm wirklich ging: »Und was ist mit Ngovi? Was hat er vor?«
Dem Archivar schien etwas klar zu werden: »Sie fürchten ihn, nicht wahr?«
Valendrea blieb ungerührt. »Ich fürchte niemanden, Eminenz. Ich habe mich nur gefragt, warum der Camerlengo sich derart für Fatima interessiert. «
»Das habe ich niemals behauptet.«
»Aber Sie haben gestern bei Ihrem Treffen darüber gesprochen, oder?«
»Das habe ich auch nicht gesagt.«
Valendrea ließ seinen Blick scheinbar gleichgültig über den Folianten wandern. »Eminenz, ich habe Sie des Amtes enthoben. Ich könnte Sie aber mühelos wieder einsetzen. Würden Sie nicht gerne bis zu Ihrem Tode als Kardinal-Archivar der katholischen Kirche hier im Vatikan bleiben? Möchten Sie nicht miterleben, wie das abhanden gekommene Dokument wieder hierher zurückfindet? Sind Ihre Pflichten Ihnen nicht wichtiger als Ihre persönliche Meinung über mich?«
Der alte Mann scharrte mit den Füßen, sein Schweigen mochte ein Hinweis darauf sein, dass er über den Vorschlag des Papstes nachdachte.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte er schließlich.
»Sagen Sie mir, wohin Hochwürden Michener aufgebrochen ist. «
»Man teilte mir heute Morgen mit, er sei nach Bamberg abgereist.« Die Stimme des Archivars klang resigniert.
»Dann haben Sie mich also angelogen?«
»Sie fragten, ob ich weiß, wo Monsignore Michener sich befindet. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was man mir gesagt hat. «
»Und was bezweckt er mit seiner Reise?«
»Das gesuchte Dokument könnte sich dort befinden.«
Valendrea wollte noch etwas wissen. »Und Ngovi?«
»Er wartet auf Hochwürden Micheners Anruf. « V alendreas bloße Hand krallte sich in die Seiten des Folianten. Er trug keine Handschuhe, doch was spielte das noch für eine Rolle? Morgen schon würde von dem Buch nur noch Asche übrig sein. Jetzt kam er zum entscheidenden Punkt : » Ngovi erwartet eine Antwort darauf, was in dem verschwundenen Dokument steht?«
Der alte Mann nickte, als schmerze es ihn, ehrlich zu sein . » Die beiden wollen wissen, was Ihnen anscheinend längst bekannt ist. «
63
Bamberg, 11.00 Uhr
M ichener und Katerina folgten Irma Rahn über den Maxplatz zum Fluss, wo ein fünfgeschossiges Gasthaus stand. Auf einem schmiedeeisernen Wirtshausschild stand der Name KÖNIGSHOF und außerdem die Zahl 1614. Das Baujahr, wie Irma erklärte.
Dieses Gebäude gehörte ihrer Familie schon seit Generationen, und sie hatte es von ihrem Vater geerbt, nachdem ihr Bruder im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Zu beiden Seiten des Gasthauses standen ehemalige Fischerhäuser. Ursprünglich war das Gebäude eine Mühle
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