Urbi et Orbi
besser. Er war die ausführende Hand Gottes: Petrus II. Ihm stand nur eine Möglichkeit des Handelns offen, und er dankte dem Allmächtigen, dass er die Kraft besaß zu tun, was getan werden musste.
»Heiliger Vater.«
Valendrea bekreuzigte sich und erhob sich vom Betschemel. Im Eingang der nur schwach erleuchteten Kapelle stand Ambrosi. Sorge zeichnete das Gesicht des Papstassistenten.
»Was ist mit Michener?«
»Verschwunden. Zusammen mit Frau Lew. Aber wir haben etwas gefunden. «
V alendrea sah den Berg von Briefen durch und staunte über diese letzte Überraschung. Clemens XV. hatte eine Geliebte gehabt. Auf eine Todsünde war zwar nicht eindeutig zu schließen – für einen Priester stellte die Verletzung des heiligen Gelübdes unbedingt eine Todsünde dar –, doch die Bedeutung dieser Briefe war unbestreitbar.
»Ich kann es immer noch nicht fassen«, sagte er zu Ambrosi aufblickend.
Sie saßen in jenem Raum der Bibliothek, in dem der Papst sich mittags mit Michener unterhalten hatte. Valendrea fie l e ine Bemerkung ein, die Clemens vor einem Monat gemacht hatte, als er erfuhr, dass Father Kealy dem Tribunal praktisch keine Wahl gelassen hatte. Vielleicht sollten wir uns einfach einmal eine gegensätzliche Meinung anhören. Jetzt verstand er, warum Volkner Kealy so wohlwollend gegenübergestanden hatte. Dem Deutschen war es mit dem Zölibat anscheinend auch nicht so ernst gewesen. Valendrea sah Ambrosi an . » Das hier ist ebenso weitreichend wie Clemens ’ Selbstmord. Ich wusste wirklich nicht, was für einen vielschichtigen Charakter mein Vorgänger hatte.«
»Und offensichtlich war er auch weitblickend«, bemerkte Ambrosi. »Er hat Tibors Schreiben aus der Riserva entfernt, da er sich im Voraus dachte, wie Sie reagieren würden.«
Dieser Hinweis auf seine Berechenbarkeit gefiel Valendrea nicht besonders, doch er sah darüber hinweg. Stattdessen forderte er: »Vernichten Sie diese Briefe.«
»Sollten wir sie nicht besser aufbewahren?«
»Wir können sie niemals verwenden, so Leid mir das auch tut. Wir dürfen Clemens ’ Andenken nicht besudeln. Wenn wir ihn in ein schlechtes Licht stellen, fällt das auf das Papstamt zurück, und das kann ich mir nicht leisten. Wir würden uns nur selbst schaden, wenn wir einen Toten angreifen. Jagen Sie das Zeug durch den Schredder.« Dann stellte er die Frage, die ihm wirklich auf dem Herzen lag: »Wohin sind Michener und Frau Lew verschwunden?«
»Unsere Freunde überprüfen das gerade beim Taxiunternehmen. Wir sollten bald Bescheid wissen.«
Bisher hatte Valendrea Clemens ’ Privattruhe für das Versteck gehalten. Doch nach den Informationen, die er inzwischen über die Persönlichkeit seines ehemaligen Feindes hatte, musste er davon ausgehen, dass der Deutsche dafür zu clever gewesen war. Der Papst nahm einen der Briefumschläge in di e H and und las den Absender: IRMA RAHN, HINTERHOLZ 19, BAMBERG, DEUTSCHLAND.
Er hörte ein leises Klingeln, und Ambrosi zog sein Handy aus der Soutane. Ein kurzes Gespräch, dann beendete Ambrosi den Empfang.
Valendrea betrachtete noch immer den Umschlag. »Lassen Sie mich raten. Die beiden haben sich am Flughafen absetzen lassen.«
Ambrosi nickte.
Valendrea reichte den Umschlag an seinen Freund weiter . » Suchen Sie diese Frau auf, Paolo. Dort werden wir alles finden, was wir suchen. Michener und Frau Lew werden ebenfalls dort sein. Die beiden befinden sich jetzt auf dem Weg dorthin.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Sicher ist man nie, aber die Vermutung ist doch recht nahe liegend. Kümmern Sie sich persönlich um die Angelegenheit.«
»Ist das nicht etwas riskant?«
»Dieses Risiko müssen wir eingehen. Sie können gewiss dafür sorgen, dass keiner Sie erkennt. «
»Natürlich, Heiliger Vater.«
»Ich möchte, dass Sie Tibors Übersetzung vernichten, sobald Sie sie in Händen halten. Wie Sie das tun, ist mir vollkommen egal, nur tun Sie es. Paolo, ich zähle auf Sie! Sollte irgendjemand, und das meine ich genau, wie ich es sage, irgendjemand – Clemens ’ Freundin, Michener, die Lew, wer auch immer – diese Worte lesen oder von ihnen erfahren, muss er sterben. Töten Sie ihn, ohne zu zögern!«
Im Gesicht des päpstlichen Privatsekretärs zuckte kein Muskel. Doch Ambrosis Augen glänzten, er sah aus wie ein Raubvogel auf der Jagd. Valendrea wusste über Ambrosis un d M icheners Meinungsverschiedenheiten Bescheid – er hatte sie sogar ermutigt, denn ein gemeinsamer Feind schmiedet
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