Urbi et Orbi
war es ihm klar. »In seinem Brief. Der Brief, der aus Turin hier eintraf. Darin hat er mich erwähnt?«
Sie nickte.
»Sie haben das, weswegen ich hier bin, oder?«
»Das kommt darauf an. Suchen Sie es für sich selbst oder für jemand anderen?«
Eine sonderbare Frage, und er wägte seine Antwort ab . » Ich komme um meiner Kirche willen.«
Wieder lächelte sie. »Genau diese Antwort hat Jakob vorhergesagt. Er kannte Sie gut.«
Er winkte Katerina herbei und stellte sie vor. Die alte Frau lächelte ihr herzlich zu, und die beiden gaben einander die Hand. »Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen. Jakob sagte, dass Sie vielleicht auch kommen würden.«
62
Vatikanstadt, 10.30 Uhr
V alendrea blätterte das LIGNUM VITAE durch. Der Archivar stand vor ihm. Der Papst hatte den betagten Kardinal aufgefordert, in den dritten Stock zu kommen und den Folianten mitzubringen. Valendrea wollte mit eigenen Augen sehen, was Ngovi und Michener so interessant gefunden hatten.
Er fand den Abschnitt der Prophezeiungen des Malachius, die sich mit Petrus Romanus befassten, am Ende von Arnold Wions achtzehnhundertseitigem Bericht.
B ei ihrer letzten Heimsuchung wird die Heilige Katholische Kirche von Petrus Romanus regiert werden, der seine Herde in großer Drangsal weiden wird, und danach wird in der Stadt der Sieben Hügel der schreckliche Richter alle Menschen richten.
»Glauben Sie wirklich an diesen Quatsch?«, fragte Valendrea den Archivar.
»Sie sind der hundertzwölfte Papst nach Malachius ’ Liste. Der letzte von ihm erwähnte Papst, und er hat vorhergesagt, dass Sie den Namen Petrus wählen würden.«
»Dann sieht sich die Kirche also der Apokalypse gegenüber? Danach wird in der Stadt der Sieben Hügel der schreckliche Richter alle Menschen richten. Glauben Sie das etwa? So dumm können Sie doch nicht sein.«
»Rom ist die Stadt der sieben Hügel. Diese Bezeichnung trägt sie von alters her. Übrigens gefällt mir Ihr Ton nicht.«
»Das ist mir vollkommen gleichgültig. Ich möchte einfach nur wissen, was Sie, Ngovi und Michener besprochen haben. «
»Von mir erfahren Sie gar nichts.«
Valendrea deutete auf den Folianten. »Dann sagen Sie mir, warum Sie an diese Prophezeiung glauben.«
»Als wenn meine Meinung irgendetwas zählte.«
Valendrea erhob sich vom Schreibtisch. »Sie zählt viel, Eminenz. Betrachten Sie es als eine letzte Tat für die Kirche. Heute ist doch Ihr letzter Tag, nicht wahr?«
Das Gesicht des alten Mannes ließ nichts von dem Schmerz erkennen, den er ohne Zweifel empfand. Der alte Kardinal hatte Rom fast fünf Jahrzehnte gedient und gewiss seinen Anteil an Freud und Leid erlebt. Doch genau dieser Kardinal hatte die Unterstützung Ngovis im Konklave organisiert – das war gestern offenkundig geworden, als die Kardinäle endlich zu reden begannen –, und er hatte seine Sache wirklich meisterhaft gemacht. Schade, dass er sich nicht für die Seite des Siegers entschieden hatte.
Ähnlich beunruhigend war allerdings die Diskussion der Malachius-Prophezeiungen, die in den letzten Tagen in den Medien aufgekommen war. Valendrea hatte den Archivar i m V erdacht, die Information an die Presse gegeben zu haben, obwohl die Reporter keine Namen genannt, sondern nur auf die üblichen gut informierten vatikanischen Kreise verwiesen hatten. Die Prophezeiungen des Malachius waren nichts Neues – Weltuntergangspropheten hatten sich ihrer schon immer bedient –, doch nun begannen auch die Journalisten, Fragen zu stellen. Der hundertzwölfte Papst hatte tatsächlich den Namen Petrus II. angenommen. Wie konnte ein Mönch im elften Jahrhundert oder ein Chronist im sechzehnten Jahrhundert so etwas vorhergesehen haben? Zufall? Vielleicht, doch es war wirklich seltsam.
Das fand auch Valendrea. Manch einer würde behaupten, der Papst hätte sich in Kenntnis von Wions Aufzeichnungen für diesen Namen entschieden. Doch Valendrea hatte von Anfang an zu Petrus tendiert, schon damals, als er sich entschlossen hatte, die Papstwürde anzustreben. Er hatte nie jemandem davon erzählt, nicht einmal Ambrosi. Und er hatte die Prophezeiungen des Malachius niemals gelesen.
Er starrte den Archivar an und erwartete die Antwort auf seine Frage. Schließlich erklärte der Kardinal: »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
»Dann sollten Sie sich vielleicht einmal Gedanken darüber machen, wo das fehlende Dokument zu finden sein könnte.«
»Ich weiß von keinem fehlenden Dokument. Alles, was verzeichnet ist, ist
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