Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
denn gewissermaßen in einer privaten Dépendance. Danach in einem der gespenstigen Werkstätten- oder Studierzimmer des immer baufälligeren verbleichten Hauses das Aussuchen der Zeichnungen, wunderbar, Robert hat jetzt einen Altersbauch, er sieht seinen koboldisch-mythologischen Zeichnungen immer ähnlicher, er hat sich anscheinend in die eigene Kunstfigur verwandelt, nur Miriam ist wie immer, eine alte Ausgabe der einstigen New Yorker Schönen russischer Herkunft, sie ist bloß merkwürdig aufsässig im Gespräch, nicht gerade meckernd, aber unerschöpflich im Einwändevorbringen, merkwürdig lebhaft geworden. Nach einer Weile wurde der riesige Hund hereingelassen, er hat sich nach anfänglicher tappiger Überschwenglichkeit beruhigt und hingelegt. Er kann einen umhauen.
Robert mit der langen Zigarettenspitze aus Schilfrohr (?) im Mund, wir becherten tüchtig. Früher gabs ausgesuchten Bordeaux und riesige Steaks, vom Kaminfeuer, alles in Fülle und dennoch einfach: archaisch. Jetzt Bescheidung diesbezüglich. Alte Leute essen weniger, leben sparsamer, aus Geld- wie Gesundheitsgründen.
Er war mein Trauzeuge 1980, wir sind seit den fünfziger Jahren befreundet, ich traf ihn zum ersten Mal, als ich Assistent am Historischen Museum in Bern war (und bereits Kritiken für die NZZ schrieb), es ging um einen Text für den Katalog einer Ausstellung in Südamerika, Robert war damals ein Weltstar. Er gehört vor allem in meine erste Zeit in Paris, die zwei einsamen Jahre. Damals habe ich wieder für ihn geschrieben, einen ganz schönen Text über seine geheimnisvollen Zugänge , die sowohl heilig wie obszön sind oder besser beide Sphären verschleiernd grimassieren und eröffnen. Wir sind zwei alte Kämpen. Es ist einsam geworden in dem Haus, eine hallende Leere oder zehrende Leere, von der sich die geheime Aktivität der beiden alten Personen wie Heinzelmännerleben abhebt. Er wird über die Feiertage den Besuch seiner Söhne erwarten. Man könnte in seinem Falle über Aufstieg und Niedergang meditieren, doch wäre damit wenig oder nur Äußerliches gesagt, weil der Zuwachs, der geistige wie humorig-philosophische, diese innere Lebendigkeit, unterschlagen wäre. Er war mein Trauzeuge gewesen, und nun mußte ich ihm die Scheidung mitteilen.
Wir redeten ohne Pause angeregt und lachten wie immer viel. Dann mit der großen Zeichnungsmappe im Taxi über die bereits nächtliche verkehrsreiche Straße in das dunkle vorweihnachtlich lebhafte Verkehrsgetümmel in Paris.
Im Zusammenhang mit der Scheidung, vor allem der definitiven Trennung von Odile, folgenden Traum gehabt:
Ich befand mich in einem großen Raum, in welchem Odile lebhaft tätig war, umherlief, ich war mir nicht klar darüber, was sie betrieb. Vorbereitungen traf? Außerdem waren zwei ansehnlich große Vögel in dem Raum, die manchmal zu einem Flug ansetzten, ein Pärchen, ich hielt sie für Falken, sie gehörten dazu. Ich sah Odile ans hohe Fenster treten, dies mein letzter Eindruck, denn auf einmal schwangen sich die beiden Vögel auf, durchflogen das Zimmer in Richtung Fenster, und danach gab es keine Odile mehr in dem Raum. Ich dachte, wo ist sie nur?, und dabei ging mir durch den Sinn, daß es sich bei den Vögeln keineswegs um Falken, meine Lieblingsvögel neben den Dohlen, sondern um Käuze, Eulen handelte. Sie hatten Odile offensichtlich gewissermaßen weggewischt, durchs Fenster ins Freie bugsiert. Entlassen? Entfernt? Weggezaubert. Ausgelöscht. Aus der Welt, aus meiner Welt geschafft. Oder hatten sie ihr zum Absprung verholfen?
War auch der Besuch in Villiers-le-Bel ein Abschiedsunternehmen?
16. Dezember 2001, Paris
Ja, die Forelle ist nicht nur das glitschigste mir bekannte Wesen, sondern auch das blitzendste, vor allem wenn sie springt; das unhaltbarste, nie in Griff zu bekommende ausgesetzteste, verletztlichste? täuschendste mutwilligste schönste Silberwesen, der wahre Silberling, ein Spuk, ich weiß es (noch) nicht, doch verstehe ich allmählich, daß man es in einen Fellmantel, einen Pelz stecken und schützen und wärmen muß zwischendurch oder doch das Bedürfnis dazu verspüren kann und so fort, sagte ich zu meiner toten Tante, die zwar in Evian begraben, jedoch in meinen Gedanken keineswegs tot und stumm, sondern nur allzu lebendig vorhanden war. Was sprichst du nur für Unsinn, mein Kleiner, sagte sie, wie kannst du nur so dumm daherreden, gib acht und hüte dich , man soll nicht vor sich hin reden, und vor allem sollte
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